Ort des Grauens
dir eben erzählt, er sei mit blutbesudelten Händen in einem Hotelzimmer aufgewacht!«
»Sprich nicht so laut. Du könntest seine Gefühle verletzen.« »Möge der Himmel uns davor bewahren!« »Erinnere dich, da war keine Leiche. Es muß sein eigenes Blut gewesen sein.«
»Woher wissen wir, daß da keine Leiche war?« fragte sie scharf. »Weil er gesagt hat, da sei keine gewesen? Er könnte ein so verdammter Spinner sein, daß er eine Leiche nicht mal dann bemerkt, wenn er in ihre dampfenden Eingeweide tritt und über den abgeschlagenen Kopf stolpert.«
»Welch lebhafte Phantasie!«
»Bobby, er sagt, er hätte sich möglicherweise selbst gekratzt, aber das ist -verdammt noch mal - wenig wahrscheinlich. Vermutlich wurde irgendeine arme Frau, irgendein unschuldiges Mädchen, vielleicht sogar ein Kind, ein hilfloses Schulmädchen, von diesem Mann angefallen, in ein Auto gezerrt, vergewaltigt und verprügelt und wieder vergewaltigt, gezwungen, sich jedem demütigenden Akt zu unterziehen, den sich ein Perverser nur ausdenken kann, dann in irgendein verlassenes Wüstental gefahren, möglicherweise mit Nadeln und Messern gefoltert oder wer-weiß-was, dann zu Tode geprügelt und splitterfasernackt in ein ausgetrocknetes Flußbett geworfen, wo die Kojoten noch jetzt auf ihren Weichteilen herumkauen und Fliegen in ihrem offenen Mund herumkriechen.«
»Julie, du vergißt etwas.«
»Was?« »Ich bin derjenige von uns, dessen Phantasie überaktiv ist.«
Sie lachte. Sie konnte nichts dagegen tun. Sie hätte gern seinen Kopf gegen die Wand geknallt, um ihm etwas Verstand einzuhämmern, doch sie lachte statt dessen und schüttelte den Kopf.
Er küßte ihre Wange, griff dann nach dem Türknauf.
Sie legte ihre Hand auf die seine. »Versprich mir, daß wir den Fall nicht übernehmen, bevor wir nicht seine ganze Geschichte gehört haben und Zeit hatten, darüber nachzudenken.«
»In Ordnung.«
Sie kehrten ins Büro zurück.
Der Himmel hinter den Fenstern ähnelte einer Blechplatte, die an einigen Stellen verschmort war und ein paar senfgelbe Rostflecken aufwies. Der Regen hatte noch nicht begonnen, doch die Luft schien angespannt vor Erwartung.
Das einzige Licht im Raum kam von den beiden Messinglampen, die auf den Tischen standen, die das Sofa flankierten, und von der Messingbodenlampe mit dem Seidenschirm, die in eine Ecke gerückt war. Die Leuchtstoffröhren an der Decke waren nicht eingeschaltet, weil Bobby ihr grelles Licht haßte. Er war ohnehin der Meinung, ein Büro solle aussehen wie ein Wohnzimmer, so daß man sich wirklich heimisch fühlen könne.
Julie dagegen meinte, ein Büro solle aussehen wie ein Büro und einen geschäftsmäßigen Eindruck vermitteln. Aber sie ließ Bobby seinen Willen und verzichtete meist darauf, die Leuchtstoffröhren einzuschalten. Jetzt, da der aufkommende Sturm den Tag verdüsterte, hätte sie die Deckenbeleuchtung gerne angeknipst, um die Schatten zu vertreiben, die in den Ecken nicht vom bernsteingelben Licht der Lampen erreicht wurden.
Frank Pollard saß immer noch in dem Stuhl und starrte die gerahmten Poster von Donald Duck, Mickey Mouse und Onkel Dagobert an, die die Wände zierten. Sie waren eine weitere Bürde, die Julie tragen mußte. Sie war ein Fan der Warner-Brothers-Cartoons, weil die pfiffiger waren, und sie besaß eine ganze Sammlung von Videobändern, plus ein paar Zeichentrickfilme von Daffy Duck, doch sie bewahrte alles zu Hause auf.
Bobby hatte die Disney-Cartoons ins Büro gebracht, weil sie ihn (sagte er) entspannten, seine Laune hoben und ihm beim Denken halfen. Kein einziger Klient hatte ihre fachliche Qualifikation jemals allein wegen der unkonventionellen Grafiken in Frage gestellt, doch sie machte sich immer noch Sorgen darüber, was die Klienten sich dabei denken könnten.
Sie setzte sich wieder hinter ihren Schreibtisch, und Bobby hockte sich wieder auf die Ecke.
Nachdem er Julie kurz zugezwinkert hatte, sagte Bobby:
»Frank, ich war voreilig, als ich den Fall akzeptierte. Wir können wirklich keine Entscheidung treffen, ehe wir Ihre ganze Geschichte gehört haben.«
»Sicher«, sagte Frank, warf erst Bobby einen kurzen Blick zu, dann Julie und schaute dann wieder hinunter auf seine zerkratzten Hände, die nun die offene Reisetasche umklammerten. »Das finde ich ganz verständlich.«
»Natürlich ist es das«, sagte Julie.
Clint schaltete den Kassettenrecorder wieder ein.
Pollard tauschte die Reisetasche auf seinem Schoß gegen die am Boden
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