Ort des Grauens
seinem Gesicht nach irgendwelchen Schwächen, konnte man bestenfalls sagen, daß einige Züge, obwohl energisch und markant, nicht ganz so energisch und markant waren wie andere. Auch seine Persönlichkeit war wie ein Fels: beständig, verläßlich, durch nichts zu erschüttern.
Es gab nur wenige Menschen, die Clint beeindruckten, und noch weniger, denen es gelang, seine Reserve zu durchbrechen und ihm mehr als eine höfliche, geschäftsmäßige Reaktion zu entlocken. Daß er den Klienten mit dem Vornamen angesprochen hatte, schien ein subtiler Ausdruck von Sympathie für Pollard zu sein und ein Vertrauensvotum für ihn und den Wahrheitsgehalt der Geschichte, die der Mann zu erzählen hatte.
»Wenn Clint der Meinung ist, dies sei etwas für uns, dann reicht mir das aus«, sagte Bobby. »Welches Problem haben Sie, Frank?«
Es beeindruckte Julie keineswegs, daß Bobby den Klienten so prompt -und so beiläufig -beim Vornamen nannte. Bobby mochte jeden, den er kennenlernte, zumindest bis er nachdrücklich vom Gegenteil überzeugt wurde, bis er feststellte, daß jemand seine Sympathie partout nicht verdiente. Tatsächlich mußte ihm schon jemand wiederholt einen Dolch in den Rücken stoßen und buchstäblich platzen vor Heimtücke, bis er endlich voller Bedauern in Erwägung zog, daß er ihn möglicherweise nicht hätte mögen sollen. Manchmal glaubte sie, sie hätte einen zu groß geratenen jungen Hund geheiratet, der vorgab, ein Mensch zu sein.
Bevor Pollard anfangen konnte, sagte Julie: »Eine Sache müssen wir vorher klären. Falls wir uns entschließen sollten, Ihren Fall zu übernehmen -und ich betone falls - wir sind nicht billig.«
»Das ist kein Problem«, entgegnete Pollard. Er hob die eine der Reisetaschen aus Leder hoch, die neben ihm am Boden gestanden hatten. Er stellte sie auf seinen Schoß, zog den Reißverschluß auf, nahm ein paar Banknotenbündel heraus und legte sie auf den Tisch. Es waren Zwanziger und Hunderter.
Als Julie das Geld nahm, um es zu inspizieren, stieß Bobby sich vom Fensterbrett ab und ging zu Pollard hinüber. Er schaute in die Reisetasche.
»Sie ist bis obenhin voll«, sagte er.
»Einhundertvierzigtausend Dollar«, erklärte Pollard.
Nachdem sie sich das Geld auf dem Tisch kurz angeschaut hatte, stellte Julie fest, daß es wohl nicht gefälscht war. Sie schob es beiseite. »Mister Pollard, tragen Sie eigentlich immer so viel Bargeld mit sich herum?« fragte sie.
»Ich weiß es nicht«, entgegnete Pollard.
»Sie wissen es nicht?«
»Ich weiß es nicht«, wiederholte er kläglich.
»Er weiß es im wahrsten Sinn des Wortes nicht«, erklärte Clint. »Hören Sie sich an, was er zu sagen hat.«
Pollards Stimme klang gedämpft und sorgenvoll, als er fortfuhr: »Sie müssen mir helfen herauszufinden, wohin ich nachts gehe. Was, um Himmels willen, tue ich, wenn ich eigentlich schlafen sollte?«
»He, das hört sich interessant an«, meinte Bobby und setzte sich auf eine Ecke von Julies Schreibtisch.
Bobbys jungenhafte Begeisterung stimmte Julie nervös. Er war imstande, Pollards Fall anzunehmen, bevor sie genug wußten, um sicher zu sein, ob das auch klug war. Außerdem konnte sie es nicht ausstehen, wenn er sich auf ihren Schreibtisch setzte. Es wirkte einfach nicht geschäftsmäßig, nicht solide. Sie hatte das Gefühl, daß es dem voraussichtlichen Klienten den Eindruck vermittelte, sie seien Amateure.
»Soll ich das Bandgerät einschalten?« erkundigte sich Clint vom Sofa aus.
»Klar«, antwortete Bobby.
Clint hielt einen kompakten, batteriebetriebenen Kassettenrecorder in der Hand. Er betätigte den Schalter und stellte das Gerät auf den Couchtisch vor dem Sofa. Das eingebaute Mikrophon zeigte in Richtung Pollard, Julie und Bobby.
Der pausbäckige Mann mit dem runden Gesicht schaute zu ihnen auf. Die bläulichen Ringe um seine Augen, die wäßrige Röte der Augen selbst und seine blassen Lippen straften den Eindruck robuster Gesundheit Lügen, den sein rotbäckiges Gesicht hätte vermitteln können. Ein zögerndes Lächeln spielte um seinen Mund.
Er sah Julie kaum eine Sekunde in die Augen, wandte dann den Blick ab und schaute wieder auf seine Hände. Er schien verängstigt zu sein, völlig erledigt und war irgendwie bemitleidenswert. Gegen ihren Willen flackerte so etwas wie Sympathie für ihn in ihr auf.
Als Pollard zu sprechen begann, seufzte Julie und ließ sich in ihren Stuhl zurücksinken. Zwei Minuten später beugte sie sich wieder vor und lauschte Pollards
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