Oryx und Crake
er immer noch so abhängig davon war wie eh und je. Er fühlte sich von seinem eigenen Schwanz herumgeschubst, als ob der Rest von ihm nur ein unbedeutendes Anhängsel wäre, das zufällig an einem Ende befestigt war. Vielleicht wäre das Ding glücklicher, wenn man es auf eigene Faust herumziehen ließe.
An den Abenden, an denen es keiner seiner Geliebten gelungen war, den Ehemann oder Partner geschickt genug zu belügen, um Zeit mit ihm zu verbringen, konnte es vorkommen, dass er ins Kino im Einkaufszentrum ging, nur um sich selbst einzureden, dass er Teil einer Gruppe von anderen Leuten sei. Oder er sah sich die Nachrichten an: neue Seuchen, neue Hungersnöte, neue Überschwemmungen, neue Insekten- oder Mikrobenplagen oder das Überhandnehmen kleiner Säuger, neue Kleinkriege mit Kindersoldaten in fernen Ländern. Warum ähnelte sich alles so?
Es gab die üblichen politischen Morde draußen in den Plebs, die üblichen merkwürdigen Unfälle, das ungeklärte Verschwinden von Leuten. Oder es gab Sexskandale: Bei Sexskandalen kamen die Nachrichtensender immer in Fahrt. Eine Zeit lang waren es Sporttrainer und kleine Jungs; dann gab es eine Welle von jungen Mädchen, die in Garagen eingesperrt gefunden wurden. Von diesen Mädchen sagten die, die sie eingesperrt hatten, dass sie als Dienstmädchen arbeiteten und dass sie zu ihrem eigenen Vorteil aus ihren elenden Ursprungsländern hergeholt worden waren. Das Einsperren in den Garagen geschah zum Schutz der Mädchen, sagten die Männer – respektable Männer, Wirtschaftsprüfer, Anwälte, Kaufleute –, die man vor Gericht gezerrt hatte, um sich zu verteidigen. Oft bestätigten ihre Frauen das. Diese Mädchen, sagten die Ehefrauen, waren praktisch adoptiert und beinahe wie Familienmitglieder behandelt worden. Jimmy liebte diese beiden Worte: praktisch, beinahe.
Die Mädchen selbst erzählten andere Geschichten, nicht alle davon glaubwürdig. Sie seien unter Drogen gesetzt worden, sagten einige. Sie seien gezwungen worden, obszöne Verrenkungen an Veranstaltungsorten zu machen, wo man es kaum erwartet hätte, wie etwa in Tierhandlungen. Sie seien in Schlauchbooten über den Pazifischen Ozean gerudert worden, sie seien in Containerschiffen geschmuggelt worden, unter Bergen von Sojaprodukten versteckt. Man habe sie gezwungen, lästerliche Handlungen mit Reptilien zu begehen.
Andererseits schienen einige der Mädchen mit ihren Lebensbedingungen zufrieden zu sein. Die Garagen seien schön, sagten sie, besser als das, was sie zu Hause gehabt hätten. Die Mahlzeiten kämen regelmäßig. Die Arbeit sei nicht zu schwer. Es stimmte, dass sie nicht bezahlt wurden und nirgendwo hinkonnten, aber das war für sie weder neu noch überraschend.
Eines dieser Mädchen – aufgefunden in einer Garage in San Francisco, im Hause eines wohlhabenden Apothekers – sagte, sie sei mal beim Film gewesen, aber sie sei froh, an ihren Herrn verkauft worden zu sein, der sie im Internet gesehen und dem sie Leid getan habe und der persönlich gekommen sei, sie abzuholen, und der viel Geld bezahlt habe, um sie zu retten, und sie mit einem Flugzeug übers Meer gebracht und ihr versprochen habe, sie zur Schule gehen zu lassen, sobald ihr Englisch gut genug sei. Sie weigerte sich, irgendetwas Negatives über den Mann zu sagen; sie schien einfach zu sein, ehrlich und aufrichtig.
Als man sie fragte, warum die Garage abgeschlossen gewesen sei, sagte sie, das sei so gewesen, damit keine bösen Leute reinkommen konnten.
Als man sie fragte, was sie darin gemacht habe, sagte sie, sie habe Englisch gelernt und ferngesehen. Der Staatsanwaltschaft gelang es nicht, ihre Aussage zu erschüttern, und der Mann kam ungeschoren davon, obwohl er angewiesen wurde, sie sofort zur Schule zu schicken.
Sie sagte, sie wolle Kinderpsychologie studieren.
Es war eine Nahaufnahme von ihr zu sehen, von ihrem schönen Katzengesicht, ihrem zarten Lächeln. Jimmy glaubte sie zu erkennen. Er hielt ihr Bild fest, kramte dann seinen Ausdruck hervor, den von damals, als er noch vierzehn war – er hatte ihn behalten, über alle Umzüge hinweg, fast wie ein Familienfoto, er lag nicht offen herum, wurde aber auch nie weggeworfen, blieb unter seinen Zeugnissen von der Martha-Graham-Akademie verstaut. Er verglich die Gesichter, aber es war seither viel Zeit vergangen. Jenes Mädchen, die Achtjährige auf dem Ausdruck, musste inzwischen sechzehn, siebzehn, achtzehn sein, und die aus der Nachrichtensendung wirkte jünger. Aber der
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