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Oryx und Crake

Oryx und Crake

Titel: Oryx und Crake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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war es nicht so gut gelaufen in letzter Zeit, eigentlich schon seit dem Patzer mit den Chickie-Nobs nicht mehr.
    Vielleicht würde es ja jetzt besser, rechtzeitig für ein emotionales, schmetterndes und ereignisreiches Finale. Er probte schon die Zeilen für seinen Abgang: Ich bin nicht, was du brauchst, du verdienst was Besseres, ich werde dein Leben ruinieren, und so weiter. Aber am besten war es, auf solche Dinge hinzuarbeiten, also erklärte er ihr Einzelheiten seines neuen Jobs.
    »Jetzt werde ich in der Lage sein, die Brötchen zu verdienen«, schloss er in einem Ton, der, wie er hoffte, gewinnend und trotzdem verantwortungsbewusst klang.
    Amanda war unbeeindruckt. »Du wirst wo arbeiten?«, war ihr Kommentar; der Punkt war, wie sich herausstellte, dass AnooYou eine Ansammlung von Abschaum war, dass die Firma nur einen Zweck hatte
    – nämlich die Phobien besorgter und leichtgläubiger Menschen auszubeuten und ihre Konten leer zu räumen. Wie es schien, hatte Amanda bis vor kurzem eine Freundin gehabt, die sich für einen AnooYou-Fünfmonatsplan angemeldet hatte, der als Kur für Depressionen, Falten und Schlaflosigkeit angepriesen worden war, alles in einem, und der sie in den Wahnsinn getrieben hatte – um genau zu sein, über das Fensterbrett ihrer Wohnung im zehnten Stock –, als sie irgendeine südamerikanische Rinde zu sich genommen hatte.
    »Ich kann immer noch absagen«, sagte Jimmy, nachdem diese Geschichte erzählt war. »Ich könnte mich ja in die Gruppe der Dauerarbeitslosen einreihen. Oder, du, ich könnte mich weiter aushalten lassen, so wie jetzt. Witz! Witz! Bring mich nicht um!«
    Amanda war in den darauf folgenden Tagen schweigsamer als je zuvor. Dann erzählte sie ihm, dass sich ihre künstlerische Blockierung gelöst habe: Das nächste Wort für die Geierskulptur war ihr eingefallen.
    »Und welches ist es?«, sagte Jimmy, wobei er sich Mühe gab, interessiert zu klingen.
    Sie sah ihn nachdenklich an. »Liebe«, sagte sie.

AnooYou
    Jimmy zog in eine Wohnung für jüngere Mitarbeiter ein, die für ihn im AnooYou-Komplex bereitgestellt worden war: Schlafzimmer in einem Alkoven, enge Einbauküche, nachgebaute Möbel der 1950er. Als Wohnstätte war es nur ein kleiner Schritt nach oben im Vergleich zu seinem Zimmer im Studentenwohnheim bei Martha Graham, aber hier gab es wenigstens nicht so viel Insektenleben. Er fand ziemlich bald heraus, dass er, vom Konzernstandpunkt aus gesehen, zu den Malochern und Heloten gehörte. Er sollte sein Gehirn knüppeln und Zehnstundentage damit zubringen, die Irrgärten des Thesaurus zu durchwandern und Formulierungen auszuspucken. Dann bewerteten die über ihm seine Angebote, reichten sie ihm zur Überarbeitung zurück und gaben sie ihm dann noch mal wieder. Was wir wollen, ist mehr… ist weniger… das ist es noch nicht ganz. Aber im Laufe der Zeit verbesserte er sich, was immer das bedeuten mochte.
    Kosmetische Cremes, Fitnessgeräte, Kraftriegel, um die Muskelform zu atemberaubenden Wundern aus gemeißeltem Granit aufzubauen.
    Pillen, die einen dicker machten, dünner, haariger, kahler, weißer, brauner, schwarzer, gelber, sexyer und glücklicher. Seine Aufgabe war es, zu beschreiben und anzupreisen, die Vision dessen zu präsentieren, was – ach so einfach! – wahr werden könnte. Hoffnung und Furcht, Verlangen und Ekel, das waren seine Grundlagen, der emotionale Hintergrund seiner Verheißungen. Gelegentlich dachte er sich ein Wort aus – Spannhaftigkeit, faserungsecht, pheromonimal –, aber er wurde damit nie erwischt. Seine Besitzer hatten solche Worte gern im Kleingedruckten auf Verpackungen, weil sie wissenschaftlich klangen und eine überzeugende Wirkung hatten.
    Er hätte zufrieden sein können, er hatte Erfolg mit seinen Wortschöpfungen, aber stattdessen war er deprimiert. Die Mitteilungen, die von oben kamen, um ihm zu sagen, er habe gute Arbeit geleistet, bedeuteten ihm nichts, weil sie von halben Analphabeten diktiert worden waren; alles, was sie bewiesen, war, dass niemand bei AnooYou in der Lage war zu würdigen, wie schlau er gewesen war. Er begann zu begreifen, warum Serienmörder sachdienliche Hinweise an die Polizei schickten.
    Sein gesellschaftliches Leben war – zum ersten Mal seit vielen Jahren
    – eine Nullnummer: Seit seinem achten Lebensjahr war er nicht mehr in einer derartigen sexuellen Einöde gestrandet. Amanda Payne schimmerte in der Vergangenheit wie eine verlorene Lagune, deren Krokodile für den Augenblick vergessen

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