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Oryx und Crake

Oryx und Crake

Titel: Oryx und Crake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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scheinheiligen Depp mögen? Du hast meine Frage noch nicht beantwortet.«
    »Doch, hab ich, Jimmy. Jetzt lass es gut sein.«
    »Wie lange hat er dich in der Garage eingesperrt?«
    »Es war eher wie eine Wohnung«, sagte Oryx. »Sie hatten in ihrem Haus keinen Platz. Ich war nicht das einzige Mädchen, das sie aufnahmen.«
    »Sie?«
    »Er und seine Frau. Sie haben versucht zu helfen.«
    »Und sie hasste Sex, ist es das? Ist das der Grund, warum sie dich geduldet hat? Weil du ihr den alten Bock vom Hals gehalten hast?«

    Oryx seufzte. »Du denkst immer das Schlimmste von Leuten, Jimmy.
    Sie war ein sehr spiritueller Mensch.«
    »Ein Scheißdreck war sie.«
    »Hör auf, so zu reden, Jimmy. Ich möchte es schön haben, wenn ich bei dir bin. Ich hab nicht viel Zeit, ich muss bald gehen, ich muss was erledigen. Warum zerbrichst du dir den Kopf über Dinge, die so lange her sind?« Sie beugte sich über ihn, küsste ihn mit ihrem verschmierten Mund. Salbe, salbungsvoll, üppig, lüstern, wollüstig, schlüpfrig, köstlich, ging es durch Jimmys Kopf. Er versank in diese Worte, in die Gefühle.
    Nach einer Weile sagte er: »Wo fährst du hin?«
    »Ach, irgendwohin. Ich ruf dich an, wenn ich da bin.« Sie sagte es ihm nie.

Takeout
    Jetzt kommt der Teil, den Schneemensch wieder und wieder in seinem Kopf ablaufen lässt. Wenn nur verfolgt ihn. Aber wenn nur was? Was hätte er anderes sagen oder tun können? Welche Variation hätte den Gang der Dinge geändert? Im Großen nichts. Im Kleinen so viel.
    Geh nicht. Bleib hier. Auf die Weise wären sie wenigstens zusammen geblieben. Sie hätten vielleicht sogar überlebt – warum nicht? In dem Fall wäre sie bei ihm, in diesem Moment.
    Ich will nur was zum Essen holen. Ich lauf nur schnell zum Einkaufs-Zentrum. Ich brauch ein bisschen Luft. Ich muss mir mal die Füße vertreten.
    Ich komm lieber mit dir. Es ist nicht sicher.
    Sei nicht albern! Überall sind Wachen. Die kennen mich alle. Wie kann irgendwer sicherer sein als ich?
    Ich hah so ein Gefühl im Bauch.
    Aber Jimmy hatte kein Gefühl im Bauch. Er war an dem Abend glücklich gewesen, glücklich und faul. Sie war eine Stunde zuvor bei ihm aufgetaucht. Sie kam geradewegs von den Crakern, hatte ihnen ein paar neue Blätter und Gräser gezeigt, deswegen war sie noch feucht von der Dusche. Sie hatte eine Art Kimono an, der mit roten und orangefarbenen Schmetterlingen bedeckt war; ihr dunkles Haar war mit einer rosa Schleife verziert, geflochten, aufgerollt und lose hochgesteckt. Das Erste, was er gemacht hatte, als sie atemlos, überschwänglich vor fröhlicher Aufregung oder einer ausgezeichneten Imitation davon, vor ihm stand, war, ihr Haar zu lösen. Der Zopf ging drei Mal um seine Hand.
    »Wo ist Crake?«, flüsterte er. Sie roch nach Zitrone, nach zerdrückten Blättern.
    »Mach dir keine Gedanken, Jimmy.«
    »Aber wo ist er?«
    »Er ist nicht in Paradice, er ist draußen. Er hatte ein Treffen. Er erwartet mich nicht, wenn er zurückkommt, er hat gesagt, er muss heute Abend nachdenken. Er hat nie Lust auf Sex, wenn er nachdenkt.«
    »Liebst du mich?«
    Dieses Lachen von ihr. Was hatte es bedeutet? Dumme Frage. Warum fragst du? Du redest zu viel. Oder: Was ist Liebe? Oder eventuell: Du träumst wohl.

    Dann verging die Zeit. Dann steckte sie ihr Haar wieder hoch, dann legte sie ihren Kimono wieder an, dann band sie sich die Schärpe um. Er stand hinter ihr und schaute ihr im Spiegel zu. Er wollte seine Arme um sie legen, die Umhüllung abnehmen, die sie gerade wieder angezogen hatte, noch mal von vorn anfangen.
    »Geh noch nicht«, hatte er gesagt, aber es nützte nie etwas, zu ihr zu sagen: Geh noch nicht . Wenn sie etwas entschieden hatte, war sie schon unterwegs. Manchmal hatte er das Gefühl, er sei nur ein Hausbesuch auf einer geheimen Route – dass sie eine ganze Liste von anderen hatte, die versorgt werden mussten, bevor die Nacht um war. Niedrige Gedanken, aber ganz ausgeschlossen war es nicht. Er wusste nie, was sie machte, wenn sie nicht bei ihm war.
    »Ich komm gleich wieder«, sagte sie und schlüpfte in ihre kleinen rosaroten Sandalen. »Ich hol Pizza. Willst du irgendwas Besonderes, Jimmy?«
    »Warum lassen wir den ganzen Mist nicht einfach fallen und verschwinden irgendwohin?«, sagte er spontan.
    »Weg von hier? Von Paradice? Wieso?«
    »Wir könnten zusammen sein.«
    »Jimmy, du bist komisch! Wir sind doch zusammen!«
    »Wir könnten weg von Crake«, sagte Jimmy. »Wir müssten nicht so heimlich tun wie

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