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Oryx und Crake

Oryx und Crake

Titel: Oryx und Crake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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doch.«
    »Sagt mir nichts«, sagte Jimmy.
    »Diese Show, die wir uns immer angeschaut haben. Erinnerst du dich?«
    »Glaub schon«, sagte Jimmy. »So irgendwie.«
    »Ich hab das Mädchen als Extinctathon-Zugang benutzt. Die da.«
    »Oh ja, stimmt«, sagte Jimmy. »Jedem das Seine. Wolltest du den Kindersex-Look?«
    »Es war ja nicht so, dass sie minderjährig war, das Mädchen, das sie mir raussuchten.«
    »Natürlich nicht.«
    »Dann traf ich private Abmachungen. Man durfte das eigentlich nicht, aber wir haben alle die Regeln ein bisschen flexibel ausgelegt.«
    »Dazu sind Regeln da«, sagte Jimmy. Er fühlte sich immer schlechter.
    »Als ich dann herkam, um das hier zu leiten, war ich in der Lage, ihr eine offiziellere Stellung anzubieten. Sie hat sofort zugesagt. Die Bezahlung war drei Mal so hoch wie das, was sie bis dahin bekommen hatte, mit vielen Zusatzleistungen; aber sie sagte auch, dass die Arbeit sie faszinierte. Ich muss sagen, dass sie eine engagierte Mitarbeiterin ist.« Crake lächelte selbstgefällig, ein Alphalächeln, und Jimmy hätte ihn niederschlagen können.
    »Großartig«, sagte er. Er fühlte sich wie von Messern durchbohrt.
    Gerade erst gefunden, und schon wieder verloren. Crake war sein bester Freund. Korrektur: sein einziger Freund. Es war nicht vorstellbar, sie anzurühren. Wie hätte er das tun sollen?

    Sie warteten, bis Oryx aus dem Duschraum kam, wo sie das Schutzspray entfernte, und, wie Crake hinzufügte, ihre leuchtend grünen Gel-Kontaktlinsen: Die Craker hätten ihre braunen Augen irritierend gefunden. Schließlich kam sie heraus, ihr Haar jetzt in Zöpfen und noch feucht, und schüttelte Jimmys Hand mit ihrer eigenen kleinen Hand.
    (Ich habe sie berührt, dachte Jimmy wie ein Zehnjähriger. Ich habe sie tatsächlich berührt!)
    Sie war jetzt bekleidet, sie trug die reguläre Laborkleidung, Kittel und Hose. An ihr sahen sie aus wie Freizeitklamotten. An der Tasche war ihr Namensschild mit einer Klammer befestigt:
    ORYX BEISA. Sie hatte den Namen selbst aus einer von Crake vorgelegten Liste ausgesucht. Ihr gefiel der Gedanke, eine sanfte, genügsame, pflanzenfressende Antilope zu sein, aber sie war weniger erfreut gewesen, als sie erfuhr, dass das von ihr ausgesuchte Tier ausgestorben war. Crake hatte ihr erklären müssen, dass dies in Paradice so üblich war.
    Sie gingen zu dritt in der Cafeteria von Paradice Kaffee trinken. Das Gesprächsthema waren die Craker – so nannte Oryx sie – und wie es ihnen ging. Es war jeden Tag das gleiche, sagte Oryx. Sie waren immer ruhig und zufrieden. Inzwischen wussten sie, wie man Feuer machte.
    Das Wakunk hatte ihnen gefallen. Sie fand es sehr entspannend, mit ihnen zusammen zu sein.
    »Fragen sie jemals, wo sie herkommen?«, sagte Jimmy. »Was sie hier machen?« In dem Augenblick hätte ihm das gar nicht gleichgültiger sein können, aber er wollte an der Unterhaltung teilnehmen, damit er Oryx ansehen konnte, ohne dass es auffiel.
    »Das verstehst du nicht«, sagte Crake in seiner Du-bist-wohl-etwas-langsam-Stimme. »Das ganze Zeug ist rausediert worden.«
    »Na ja, sie haben tatsächlich gefragt«, sagte Oryx. »Heute haben sie gefragt, wer sie gemacht hat.«
    »Und?«

    »Und ich hab ihnen die Wahrheit gesagt. Ich hab gesagt, das war Crake.« Ein bewunderndes Lächeln für Crake: Jimmy hätte darauf verzichten können. »Ich hab ihnen gesagt, dass er sehr klug und gut ist.«
    »Haben sie gefragt, wer dieser Crake ist?«, sagte Crake. »Wollten sie ihn sehen?«
    »Das schien sie nicht zu interessieren.«

    Jimmy quälte sich Tag und Nacht. Er wollte Oryx berühren, sie anbeten, sie auspacken wie ein schön eingewickeltes Päckchen, obwohl er den Verdacht hatte, dass sich etwas – eine gefährliche Schlange oder eine selbst gebaute Bombe oder ein tödliches Pulver – darin verbarg.
    Natürlich nicht in ihr. In der Situation. Sie war für ihn tabu, sagte er sich, immer wieder.
    Er verhielt sich so ehrbar, wie er konnte: Er zeigte kein Interesse an ihr oder zumindest versuchte er, keines zu zeigen. Er begann, in die Plebs zu gehen und Mädchen in den Bars zu bezahlen. Mädchen mit Dessous, mit Glitzerzeug, mit Spitzen, was immer im Angebot war. Er spritzte sich Crakes Kurzzeitimpfstoff, und er hatte mittlerweile seinen eigenen Corps-Leibwächter, also war das Ganze ziemlich sicher. Die ersten beiden Male war es aufregend gewesen; dann war es zur Zerstreuung geworden; danach war es schlicht eine Angewohnheit. Nichts davon war ein

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