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Oryx und Crake

Oryx und Crake

Titel: Oryx und Crake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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jetzt, wir könnten…«
    »Aber Jimmy.« Geweitete Augen. »Crake braucht uns!«

    »Ich glaub, er weiß Bescheid«, sagte Jimmy. »Über uns.« Er glaubte das nicht; oder er glaubte es und dann auch wieder nicht, beides gleichzeitig. Fest stand, dass sie in letzter Zeit immer unvorsichtiger geworden waren. Wie konnte Crake das entgangen sein? War es möglich, dass ein Mann, der in vielerlei Hinsicht so intelligent war, in anderer Hinsicht akut hirngeschädigt sein konnte? Oder besaß Crake eine Hinterhältigkeit, die Jimmys eigene in den Schatten stellte? Falls ja, so gab es keinerlei Anzeichen dafür.
    Jimmy hatte begonnen, sein Zimmer nach Wanzen abzusuchen: versteckte Minimikrofone, Kleinstkameras. Er wusste, nach was er zu suchen hatte, oder zumindest glaubte er das. Aber es war nichts da.

    Es gab Anzeichen, denkt Schneemensch. Es gab Anzeichen, und ich habe sie übersehen.
    Zum Beispiel hatte Crake einmal gesagt: »Würdest du eine Person, die du liebst, umbringen, um ihr Schmerzen zu ersparen?«
    »Du meinst, Euthanasie praktizieren?«, sagte Jimmy. »So wie deine Schildkröte einschläfern lassen?«
    »Sag mir einfach, was du denkst«, sagte Crake.
    »Ich weiß nicht. Welche Art von Liebe, welche Art von Schmerz?«
    Crake wechselte das Thema.
    Dann, bei einem Mittagessen, sagte er: »Falls mir irgendwas passiert, verlasse ich mich darauf, dass du dich um das Paradice-Projekt kümmerst. Ich möchte, dass du immer, wenn ich von hier weg muss, das Kommando übernimmst. Ich hab eine entsprechende Weisung gegeben.«
    »Was sollte denn passieren?«, sagte Jimmy.
    »Du weißt schon.«
    Jimmy hatte angenommen, er meinte, dass er entführt oder von der gegnerischen Seite kaltgemacht werden könnte: Das stellte für die Komplex-Genies eine Dauerbedrohung dar. »Klar«, sagte er, »aber erstens, dein Sicherheitsdienst ist der Beste, und zweitens, es gibt hier Leute, die das viel besser könnten als ich. Ich könnte so eine Sache wie diese hier nicht leiten, ich hab nicht den wissenschaftlichen Hintergrund.«
    »Diese Leute sind Spezialisten«, sagte Crake. »Die hätten nicht das Einfühlungsvermögen, um sich mit den Paradice-Modellen zu befassen, sie könnten das einfach nicht, sie würden die Geduld verlieren. Selbst ich könnte das nicht. Ich könnte mich nicht mal ansatzweise auf ihrer Wellenlänge bewegen. Dagegen bist du eher ein Generalist.«
    »Was heißt das?«
    »Du hast eine große Begabung dafür, herumzusitzen und nicht allzu viel zu tun. Genau wie sie.«
    »Danke schön.«
    »Nein, ganz im Ernst. Ich will – ich würde wollen, dass du das machst.«
    »Was ist mit Oryx?«, sagte Jimmy. »Sie kennt die Craker sehr viel besser als ich.« Jimmy und Oryx sagten Craker, aber Crake sagte das nie.
    »Wenn ich nicht mehr da bin, wird Oryx auch nicht mehr da sein«, sagte Crake.
    »Sie wird Sati begehen? Kein Quatsch! Sich selbst auf deinem Scheiterhaufen verbrennen?«
    »So was in der Art«, sagte Crake und grinste dabei. Was Jimmy zu der Zeit noch als Witz verstanden hatte, sowie als Symptom für Crakes wahrhaft kolossales Ego.
    »Ich glaub, Crake schnüffelt uns nach«, sagte Jimmy in jener letzten Nacht. Sobald er es ausgesprochen hatte, erkannte er, dass es stimmen konnte, obwohl er es vielleicht nur sagte, um Oryx zu erschrecken. Sie zu was zu treiben, vielleicht; obwohl sie keine konkreten Pläne hatten.
    Angenommen, sie liefen davon, wo würden sie leben, wie würden sie Crake daran hindern, sie zu finden, was war mit Geld? Würde Jimmy zum Zuhälter werden müssen, von ihren Einnahmen leben? Denn er hatte sicherlich keine vermarktbaren Fähigkeiten, nichts, was er in Plebsland verwenden könnte, nicht, wenn sie in den Untergrund gingen.
    Was sie würden tun müssen. »Ich glaub, er ist eifersüchtig.«
    »Ach Jimmy. Warum sollte Crake eifersüchtig sein? Er hält nichts von Eifersucht. Er hält sie für verkehrt.«
    »Er ist ein Mensch«, sagte Jimmy. »Wovon er was hält, hat nichts damit zu tun.«
    »Jimmy, ich glaub, du bist derjenige, der eifersüchtig ist.« Oryx lächelte, stellte sich auf die Zehenspitzen, küsste seine Nase. »Du bist ein guter Junge. Aber ich würde Crake nie verlassen. Ich glaube an Crake, ich glaube an seine« – sie suchte nach dem Wort – »seine Vision.
    Er möchte die Welt in einen besseren Ort verwandeln. Das sagt er mir immer. Ich finde das großartig, du nicht auch, Jimmy?«

    »Ich glaub nicht daran«, sagte Jimmy. »Ich weiß, dass er das sagt, aber ich hab ihm das

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