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Oryx und Crake

Oryx und Crake

Titel: Oryx und Crake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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einlassen. Sie waren zu dritt, er war allein: Falls sie hysterisch geworden wären, falls sie aus dem Komplex ausbrechen oder ihre Freunde reinlassen wollten, wäre er nicht in der Lage gewesen, sie zu kontrollieren. Sobald sie außer Sicht waren, sperrte er sie aus und sich ein. Niemand war mehr in der inneren Kuppel außer ihm und den Crakern.
    Er sah sich die Nachrichten noch eine Weile an, trank Scotch, um sich zu stählen, wobei er allerdings die Menge über einen gewissen Zeitraum verteilte. Trockengras. Kehlig. Böse Sieben. Waid. Er wartete auf Oryx, aber ohne Hoffnung. Irgendetwas musste ihr zugestoßen sein. Sonst wäre sie da.
    Kurz vor dem Morgengrauen piepte der Türmonitor. Jemand gab Zahlen für die Luftschleuse ein. Das würde natürlich nicht funktionieren, weil Jimmy die Kombination geändert hatte.
    Die Videogegensprechanlage krächzte. »Was machst du denn?«, sagte Crake. Er sah verärgert aus und klang auch so. »Mach auf.«
    »Ich folge Plan B«, sagte Jimmy. »Im Falle eines Bioangriffs, lass niemand rein. Deine Anweisung. Ich hab die Luftschleuse verriegelt.«
    »Niemand bezog sich nicht auf mich«, sagte Crake. »Jetzt sei mal keine Korknuss.«
    »Woher weiß ich, dass du kein Überträger bist?«, sagte Jimmy.
    »Bin ich nicht.«
    »Woher soll ich das wissen?«
    »Lass uns einfach davon ausgehen«, sagte Crake müde, »dass ich dieses Ereignis vorhergesehen und Vorsichtsmaßnahmen getroffen habe. Außerdem bist du dagegen immun.«
    »Warum sollte ich das sein?«, sagte Jimmy. Sein Hirn arbeitete in Sachen Logik nicht richtig. Irgendetwas an dem, was Crake gerade gesagt hatte, stimmte nicht, aber er konnte es nicht genau festnageln.
    »Das Antikörperserum war in dem Plebsimpfstoff. Erinnerst du dich an die vielen Male, die ich dir das Zeug gespritzt habe? Immer wenn du in die Plebs gegangen bist, um dich im Schlamm zu suhlen und deinen Liebeskummer zu ertränken.«

    »Woher wusstest du das?«, sagte Jimmy. »Woher wusstest du, wo ich, was ich wollte?« Sein Herz raste; er war nicht präzise.
    »Sei kein Idiot. Lass mich rein.«
    Jimmy gab die Kombination für die Luftschleuse ein. Jetzt war Crake an der innersten Tür. Jimmy schaltete den Videobildschirm für die Luftschleuse an: Crakes Kopf schwebte lebensgroß genau vor seinen Augen. Er wirkte völlig erledigt. Da war etwas – Blut? – auf seinem Hemdkragen.
    »Wo warst du?«, sagte Jimmy. »Warst du in einer Schlägerei?«
    »Du hast keine Ahnung, was da los ist«, sagte Crake. »Jetzt lass mich rein.«
    »Wo ist Oryx?«
    »Sie ist bei mir. Sie ist sehr mitgenommen.«
    »Was ist denn mit ihr passiert? Was geht da draußen vor? Lass mich mit ihr sprechen!«
    »Sie kann jetzt nicht sprechen. Ich kann sie nicht hochheben. Ich bin verletzt. Jetzt hör auf, hier rumzuspinnen, und lass uns rein.«
    Jimmy zog die Energiepistole. Dann gab er die Kombination ein. Er trat zurück und zur Seite. Alle Haare auf seinen Armen standen zu Berge. Wir verstehen mehr, als wir wissen.
    Die Tür schwenkte auf.
    Crakes beige Tropenkleidung war voller rotbrauner Flecke. In der rechten Hand hielt er ein gewöhnliches Klappmesser mit zwei Klingen und Nagelfeile und Korkenzieher und der kleinen Schere. Der andere Arm hielt Oryx, die zu schlafen schien; ihr Gesicht lag an Crakes Brust, ihr langer Zopf mit dem rosa Band hing über den Rücken herunter.
    Während Jimmy, in Ungläubigkeit erstarrt, zusah, ließ Crake Oryx über seinen linken Arm nach hinten fallen. Er sah Jimmy an, ein direkter Blick, ohne zu lächeln.
    »Ich verlass mich auf dich«, sagte er. Dann schnitt er ihr die Kehle durch.
    Jimmy erschoss ihn.

Kuppel
    Der Sturm hat die Luft abgekühlt. Nebel steigt von den Bäumen in der Ferne auf, die Sonne sinkt, die Vögel beginnen ihr abendliches Lärmen.
    Drei Krähen fliegen über ihn hinweg, ihre Flügel schwarze Flammen, ihre Worte fast hörbar. Crake! Crake!, sagen sie. Die Grillen sagen Oryx. Ich habe Halluzinationen, denkt Schneemensch.
    Er setzt seinen Weg auf dem Schutzwall fort, einen schmerzenden Schritt nach dem anderen. Sein Fuß fühlt sich wie eine riesige gebrühte Wienerwurst an, mit heißem, zermahlenem Fleisch gestopft, knochenlos und kurz vor dem Platzen. Was auch immer für ein Bazillus darin gärt, er ist offensichtlich gegen die Antibiotika resistent, die in der Salbe aus dem Wachturm waren. Vielleicht kann er in Paradice, im Durcheinander von Crakes Notvorratslager – er weiß, wie ausgeplündert das bereits ist, er selber war

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