Oryx und Crake
der Plünderer – etwas Wirkungsvolleres finden.
Crakes Notvorratslager. Crakes wundervoller Plan. Crakes avantgardistische Einfälle. Crake, König der Crakerei, denn Crake ist immer noch dort, immer noch der Besitzer, immer noch der Herrscher seiner Domäne, egal, wie finster die Lichtkuppel inzwischen geworden ist. Finsterer als finster, und etwas von dieser Finsternis gebührt Schneemensch. Er hat mitgeholfen.
»Lieber nicht hingehen«, sagt Schneemensch.
Süßer, du bist ja schon da, Du bist nie weggegangen.
Am achten Wachturm, dem, von dem aus man den Park um Paradice herum überblickt, schaut er nach, ob irgendeine der Türen, die zum oberen Raum führen, unverschlossen sind – er würde es vorziehen, falls möglich, über eine Treppe hinunterzukommen – aber sie sind nicht offen. Vorsichtig sucht er den Boden unten durch einen der Beobachtungsschlitze ab: keine großen oder mittelgroßen Lebensformen da unten, obwohl ein Geraschel im Unterholz zu hören ist, bei dem es sich, wie er hofft, nur um ein Eichhörnchen handelt. Er packt sein verdrehtes Laken aus, bindet es an ein Entlüftungsrohr – wackelig, aber die einzige Möglichkeit – und lässt das freie Ende über den Rand des Schutzwalls herunter. Es ist um etwa zwei Meter zu kurz, aber den Sprung wird er aushalten, solange er nicht auf seinem schlimmen Fuß aufkommt. Er klettert hinüber, lässt sich Hand um Hand an seinem Ersatzstrick ab. Er hängt am Ende wie eine Spinne, zögert – gibt es nicht eine Technik dafür? Was hat er über Fallschirme gelesen?
Irgendwas über das Anwinkeln der Knie. Dann lässt er los.
Er kommt auf beiden Füßen auf. Der Schmerz ist heftig, aber nachdem er auf dem schlammigen Boden eine Weile herumgerollt ist und Geräusche wie ein Tier am Spieß gemacht hat, zieht er sich wimmernd hoch, bis er auf den Füßen steht. Korrektur: auf einem Fuß. Es scheint nichts gebrochen zu sein. Er schaut sich nach einem Stock um, den er als Krücke verwenden könnte, findet einen. Das Gute an Stöcken ist, dass sie an Bäumen wachsen.
Jetzt hat er Durst.
Durch das Grün und das aufschießende Unkraut marschiert er hoppla-hop, hoppla-hop, und knirscht mit den Zähnen. Unterwegs tritt er auf eine riesige gelbe Nacktschnecke, fällt beinahe hin. Er hasst dieses Gefühl: kalt, schleimig, wie ein freigelegter, gekühlter Muskel.
Kriechender Rotz. Wenn er ein Craker wäre, müsste er sich bei ihr entschuldigen – Es tut mir Leid, dass ich auf dich getreten bin, Kind von Oryx, bitte verzeih mir meine Tollpatschigkeit.
Er versucht es: »Es tut mir Leid.«
Hat er etwas gehört? Eine Antwort?
Wenn die Schnecken anfangen zu sprechen, gilt es, keine Zeit zu verlieren.
Er kommt an der Glaskuppel an, geht um ihre weiße, heiße, eisige Schwellung herum bis zur Vorderseite. Die Tür der Luftschleuse steht offen, so wie er es in Erinnerung hat. Einmal tief Luft holen, und rein mit ihm.
Hier sind Crake und Oryx, was von ihnen noch übrig ist. Sie sind von Aasfressern zerpflückt worden, »gegeiert«, hierhin und dorthin verstreut, kleine und große Knochen vermischt und in Unordnung, wie ein riesiges Puzzle.
Hier ist Schneemensch, dumm wie Brot, Wirrkopf, Bummelant und Gimpel, Wasser läuft ihm über das Gesicht, eine Riesenfaust drückt ihm das Herz zusammen, während er auf seine eine große Liebe und seinen besten Freund auf der ganzen Welt hinuntersieht. Crakes leere Augenhöhlen schauen zu Schneemensch auf, so wie bereits einmal zuvor seine leeren Augen. Er grinst mit allen Zähnen, die er im Kopf hat. Was Oryx angeht, so liegt sie mit dem Gesicht nach unten, sie hat den Kopf abgewandt wie in Trauer. Das Band in ihrem Haar ist so rosa wie eh und je.
Ach, wie soll er klagen? Er ist selbst in dieser Hinsicht ein Versager.
Schneemensch geht durch die innere Tür, am Sicherheitsbereich vorbei, zu den Personalwohnungen. Warme Luft, feucht, verbraucht. Der erste Ort, den er aufsuchen muss, ist die Vorratskammer; er findet sie ohne Schwierigkeiten. Dunkel bis auf ein paar Oberlichter, aber er hat seine Taschenlampe. Es herrscht ein Geruch von Moder und Ratten oder Mäusen, aber ansonsten sind die Räume unberührt geblieben, seit er das letzte Mal da war.
Er findet die Regale mit den Medikamenten und wühlt herum.
Zungenstäbchen, Mullbinden, Verbandsmaterial für Brandwunden. Eine Schachtel voll Rektalthermometer, aber er braucht sich keines davon in den Hintern zu schieben, um zu wissen, dass er glüht. Drei oder vier
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