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Oryx und Crake

Oryx und Crake

Titel: Oryx und Crake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Jimmy.
    »Mit wem spreche ich?«
    »Darf ich Ihnen nicht sagen. Sicherheitsbestimmungen.«
    »Hören Sie zu, wer auch immer Sie sind, ich kann mir ziemlich genau vorstellen, was für eine Nummer dieses Ekel da abzieht, und wenn ich ihn in die Finger krieg, brech ich ihm das Genick. Ich wette, er hat den Impfstoff gegen diese Scheiße und er wird von uns allen Unsummen erpressen.«
    »Wirklich? Das glauben Sie?«, sagte Jimmy.
    »Ich weiß, dass der Scheißkerl da ist. Ich komm gleich rüber und spreng die Tür auf.«
    »Das würd ich nicht tun«, sagte Jimmy. »Wir haben hier eine sehr merkwürdige Mikrobenaktivität. Sehr ungewöhnlich. Dieser Bereich ist heißer als die Hölle. Ich schlage mich in einem Bioschutzanzug durch, aber ich weiß wirklich nicht, ob ich verseucht bin oder nicht. Irgendwas ist hier ernsthaft dabei zu entgleisen.«
    »Oh Scheiße. Hier? In Rejoov? Ich dachte, wir wären abgeschirmt.«

    »Ja, es ist eine böse Überraschung«, sagte Jimmy. »Mein Rat ist, suchen Sie ihn auf den Bermudas. Ich glaub, er ist mit einer Menge Geld da hingeflogen.«
    »Also hat er uns verkauft, der kleine Scheißer. Hat es an die Konkurrenz verhökert. Das würde mir einleuchten. Das würde mir absolut einleuchten. Hören Sie, vielen Dank für den Tipp.«
    »Viel Glück«, sagte Jimmy.
    »Ja, klar, Ihnen auch.«
    Niemand sonst betätigte den Summer an der äußeren Tür, niemand versuchte einzubrechen. Die Rejoov-Leute mussten die Botschaft verstanden haben. Was das Personal anging, so mussten sie, sobald ihnen klar wurde, dass die Posten weg waren, hinausgestürzt und direkt zum äußeren Tor gelaufen sein. In Richtung dessen, was sie mit der Freiheit verwechselten.

    Drei Mal am Tag sah Jimmy nach den Crakern, indem er zu ihnen hineinspähte wie ein Voyeur. Wozu der Vergleich: Er war ein Voyeur.
    Sie schienen ganz glücklich zu sein, oder zumindest zufrieden. Sie ästen, sie schliefen, sie saßen stundenlang da und taten dem Anschein nach gar nichts. Die Mütter stillten ihre Kinder, die Kleinen spielten.
    Die Männer pinkelten im Kreis. Eine der Frauen kam in ihre blaue Phase, und die Männer führten ihren Verehrungstanz auf, sangen mit Blumen in der Hand, azurfarbene Penisse wiegten sich im Takt. Dann gab es ein Fruchtbarkeitsfest zu fünft, abseits im Gebüsch.
    Vielleicht könnte ich ja ein bisschen soziale Interaktion veranstalten, dachte Jimmy. Ihnen helfen, das Rad zu erfinden. Ihnen ein Wissenserbe hinterlassen. Alle meine Wörter.
    Nein, könnte er nicht. Hoffnungsloser Fall.
    Manchmal schauten sie ein bisschen beunruhigt – dann standen sie in Gruppen beisammen, murmelten. Die verborgenen Mikrofone hörten mit.
    »Wo ist Oryx? Wann kommt sie denn wieder?«
    »Sie kommt immer wieder.«
    »Sie sollte hier sein, uns unterrichten.«
    »Sie unterrichtet uns immer. Sie unterrichtet uns jetzt.«
    »Ist sie da?«
    »Hier und nicht hier sind dasselbe für Oryx. Das hat sie gesagt.«
    »Ja. Das hat sie gesagt.«

    »Was heißt das?«
    Es war wie eine hirnlose theologische Debatte in den windigeren Ecken der Chatroom-Vorhölle. Jimmy konnte es nicht ertragen, dem lange zuzuhören.

    In der übrigen Zeit äste, schlief und saß auch er stundenlang herum, ohne etwas zu tun. In den ersten beiden Wochen verfolgte er die Ereignisse in der Welt im Internet oder ansonsten im Fernsehen: Die Krawalle in den Städten, als der Nahverkehr zusammenbrach und die Supermärkte gestürmt wurden; die Explosionen, als die elektrischen Systeme ausfielen, die Feuer, die niemand löschte. Menschenmengen drängten sich in Kirchen, Moscheen, Synagogen und Tempeln, um zu beten und Buße zu tun, strömten dann wieder hinaus, als sie sich der erhöhten Ansteckungsgefahr bewusst wurden. Es gab einen Exodus Richtung Kleinstädte und ländliche Gegenden, deren Einwohner die Flüchtenden so lange sie konnten mit verbotenen Feuerwaffen oder Knüppeln und Mistgabeln fern hielten.
    Zunächst hatten die Fernsehberichterstatter ihren Spaß an der Sache, filmten die Ereignisse von Hubschraubern aus, wobei sie wie bei einem Footballspiel ausriefen: Hast du das gesehen? Unglaublich! Brad, das ist kaum zu glauben. Was wir gerade gesehen haben, ist ein wild gewordener Mob von Gottesgärtnern, die eine Hühnerfleisch-Farm befreien. Brad, es ist zum Totlachen, die Hühnerkeulen können nicht mal laufen! (Gelächter.) Damit zurück ins Studio.

    Es muss während des anfänglichen Chaos gewesen sein, denkt Schneemensch, dass irgend so ein Genie die

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