Oryx und Crake
Stimme seiner Mutter, die ihn ermahnt, er solle das abgelegte Laken in den Wäschekorb legen – alte neurologische Verbindungen im Hirn sterben nur langsam ab –, aber er lässt es stattdessen auf den Boden fallen und geht wieder hinunter in die Küche.
Er hofft, etwas Dosennahrung zu finden, Sojagulasch oder Bohnen und Würstchen, egal was, solange es Protein enthält – selbst Gemüse wäre schön, Ersatz oder auch nicht, er nimmt alles –, aber wer immer das Fenster einschlug, hat auch den Küchenschrank leer geräumt. Eine Hand voll trockenen Müslis in einer Plastikdose mit Schnappverschluss ist noch da, also isst er das; es handelt sich um unverfälschte Gen-Schrott-Pappe, und er muss es gut kauen und Wasser trinken, um es runterzukriegen. Er findet drei Päckchen mit Cashewnüssen, Snackpackungen vom Hochgeschwindigkeitszug, und futtert eine davon sofort; sie sind nicht allzu schal. Da ist auch eine Dose mit SoyOBoy-Sardinen. Ansonsten nur noch eine halb leere Flasche Ketchup, dunkelbraun und vergoren.
Den Kühlschrank macht er lieber nicht auf. Von da kommt zum Teil der Geruch in der Küche.
In einer der Schubladen unter der Anrichte ist eine Taschenlampe, die funktioniert. Die nimmt er mit, sowie ein paar Kerzenstummel und Streichhölzer. Er findet einen Plastikmüllsack genau da, wo er sein sollte, und packt alles hinein, einschließlich der Sardinen und der zwei anderen Päckchen mit Cashewnüssen, und den Bourbon und die Seife und das Aspirin. Einige Messer sind da, nicht besonders scharf; er sucht sich zwei aus und einen kleinen Kochtopf. Den wird er brauchen können, falls er etwas zu kochen findet.
Am Ende des Flurs, zwischen Küche und Abstellraum, liegt ein kleines Privatbüro. Ein Schreibtisch mit einem stillen Computer, einem Fax, einem Drucker; sowie einem Behälter mit Plastikkugelschreibern, einem Regal mit Nachschlagewerken – ein Wörterbuch, ein Thesaurus, eine Zitatsammlung, der Norton Sammelband Moderne Lyrik. Der Typ mit dem gestreiften Pyjama im zweiten Stock muss seinerzeit ein Wortmensch gewesen sein: ein Redenschreiber für RejoovenEsense, ein Ideologieklempner, ein Spin Doctor, ein angeheuerter Haarspalter.
Armer Trottel, denkt Schneemensch.
Neben einer Vase verwelkter Blumen und einem gerahmten Schnappschuss von Vater und Sohn – das Kind war also ein Junge, sieben oder acht – liegt ein Notizblock fürs Telefon. Quer auf dem obersten Blatt sind die Worte RASEN MÄHEN LASSEN zu lesen.
Dann, in kleineren, schwächer lesbaren Buchstaben, Klinik anrufen…
Der Kugelschreiber liegt noch auf dem Papier, als ob er der kraftlos werdenden Hand entglitten sei: Es muss plötzlich über ihn gekommen sein, genau in dem Moment, sowohl die Krankheit als auch die Erkenntnis, krank zu sein. Schneemensch kann sich vorstellen, wie dem Typ alles klar wird, während er auf seine eigene sich bewegende Hand schaut. Er muss ein früher Fall gewesen sein oder er hätte sich keine Gedanken mehr um seinen Rasen gemacht.
Die Haare in seinem Nacken sträuben sich wieder. Warum hat er das Gefühl, dass er in sein eigenes Haus eingebrochen ist? Sein eigenes Haus von vor fünfundzwanzig Jahren, er selbst das fehlende Kind.
Windhose
Schneemensch bahnt sich seinen Weg durch das gardinenverhangene Halbdunkel des Wohnzimmers, das nach vorne rausgeht, und plant seine weitere Route. Er wird sich ein Haus suchen müssen, das einen reicheren Vorrat an Konservendosen hat, oder gar ein Einkaufszentrum.
Er könnte dort über Nacht kampieren, oben auf einem der obersten Regalbretter; auf diese Weise könnte er sich Zeit lassen, nur das Beste einstecken. Wer weiß! Vielleicht gibt es da sogar noch Schokoriegel.
Dann, wenn er den Nahrungsaspekt abgedeckt hat, kann er sich aufmachen in Richtung Glaskuppel, das Waffenlager ausheben. Sobald er wieder eine funktionstüchtige Energiepistole in Händen hält, wird er sich sehr viel sicherer fühlen.
Er wirft seinen Stock durch das zerbrochene Fenster, klettert dann raus, wobei er gut aufpasst, dass er nicht das neue geblümte Laken am gezackten Glas einreißt oder sich schneidet oder seinen Plastiksack beschädigt. Direkt vor ihm auf dem überwucherten Rasen, den Zugang zur Straße versperrend, ist eine Fünfergruppe von Organschweinen, die in einem kleinen Abfallhaufen wühlen, bei dem es sich, so hofft er, nur um Kleidung handelt. Ein Eber, zwei Sauen, zwei Junge. Als sie ihn hören, halten sie im Fressen inne und heben die Köpfe: Sie sehen ihn nur zu gut.
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