Oryx und Crake
Er hebt seinen Stock und droht ihnen damit. Normalerweise nehmen sie Reißaus, wenn er das tut – Organschweine haben ein gutes Langzeitgedächtnis, und Stöcke sehen wie Elektroschocker aus –, aber diesmal halten sie die Stellung. Sie schnüffeln in seine Richtung, als ob sie verwirrt wären; vielleicht riechen sie das Parfüm, mit dem er sich besprüht hat. Das Zeug könnte Säugetieranaloge Sexualpheromone enthalten, womit er mal wieder einen typischen Glücksgriff getan hätte.
Von lüsternen Organschweinen zu Tode getrampelt. Was für ein idiotisches Ende.
Was kann er tun, falls sie angreifen? Er hat nur eine Wahl: zurück durch das Fenster. Hat er genug Zeit dafür? Trotz der Stummelbeine, die ihr enormes Gewicht tragen, können die verdammten Biester sehr schnell laufen. Die Küchenmesser sind in seinem Müllsack; sie sind sowieso zu kurz und zu schwach, um einem ausgewachsenen Organschwein ernsthaften Schaden zuzufügen. Das wäre, als ob man versuchte, mit einem Obstmesser in einen Lastwagenreifen zu stechen.
Der Eber senkt den Kopf und spannt den mächtigen Nacken und die Schultern und schaukelt unruhig vor und zurück, überlegt. Aber die anderen haben schon begonnen, sich zurückzuziehen, also besinnt sich auch der Eber eines Besseren und folgt ihnen, wobei er seinem Hohn und Trotz Ausdruck verleiht, indem er beim Gehen einen Kothaufen fallen lässt. Schneemensch bleibt stehen, bis keines von ihnen mehr zu sehen ist, dann geht er vorsichtig weiter und schaut sich dabei oft um.
Es sind zu viele Organschweinspuren in dieser Gegend. Diese Viecher sind schlau genug, um einen Rückzug vorzutäuschen und dann hinter der nächsten Ecke auf der Lauer zu liegen. Sie würden ihn umrempeln, zertrampeln, ihn dann aufschlitzen, seine inneren Organe als Erstes fressen. Er kennt ihren Geschmack. Kluge Tiere und Allesfresser, die Organschweine. Bei einigen von ihnen dürfte sogar menschliches Neokortexgewebe im gewitzten bösen Kopf wachsen.
Jawohl: Da sind sie, ein Stück weiter. Sie kommen hinter einem Busch hervor, alle fünf; nein, alle sieben. Sie starren in seine Richtung. Es wäre ein Fehler, ihnen den Rücken zuzukehren oder wegzurennen. Er hebt seinen Stock und geht seitwärts zurück in die Richtung, aus der er gekommen ist. Notfalls kann er sich in das Torhaus am Kontrollpunkt flüchten und dort bleiben, bis sie weg sind. Dann wird er einen Weg außen herum nehmen müssen zur Glaskuppel; sich an Nebenstraßen halten, wo es möglich ist, ihnen aus dem Weg zu gehen.
Aber in der Zeit, die er braucht, um die Entfernung zum Torhaus hinter sich zu bringen, indem er seitwärts geht wie bei einem grotesken Tanz, während die Organschweine noch immer starren, türmen sich dunkle Wolken von Süden her auf und verdecken die Sonne. Das ist nicht der übliche Nachmittagssturm: Es ist noch zu früh, und der Himmel hat eine verdächtige grünlich-gelbe Färbung. Es ist eine Windhose, eine große. Die Organschweine sind inzwischen verschwunden, fort, um Schutz zu suchen.
Er steht vor dem Würfelbau des Kontrollpostens und beobachtet, wie der Sturm angerollt kommt. Es ist ein großartiges Spektakel. Er hat mal beobachtet, wie ein Amateur-Dokumentarfilmer mit Videokamera direkt in so ein Ding hineingesaugt wurde. Er fragt sich, wie Crakes Kinder zu Rande kommen, dort an der Küste. Zu schade für Crake, wenn die lebenden Resultate all seiner Theorien in den Himmel gewirbelt oder von einer großen Welle aufs Meer hinausgespült würden. Aber das wird nicht passieren: Im Falle hohen Wellengangs werden die Wellenbrecher sie beschützen, die sich durch die Schutthalden gebildet haben. Was Windhosen angeht, so haben sie bereits eine überstanden. Sie werden sich in die Höhle in der Mitte der eingestürzten Betondecken zurückziehen, die sie ihr Gewitterhaus nennen, und warten, bis es aufhört.
Die ersten Böen regen sich, wühlen Unrat auf dem offenen Feld auf.
Blitze zucken zwischen den Wolken. Er kann einen dünnen dunklen Trichter sehen, der sich im Zickzack nach unten bewegt; dann senkt sich Dunkelheit über alles. Glücklicherweise ist das Torhaus in das Sicherheitsgebäude nebenan hineingebaut, und diese Dinger sind wie Bunker, dick und massiv. Er schlüpft hinein, als der erste Regen fällt.
Es folgt das Kreischen des Windes, das Krachen von Donner, ein vibrierendes Geräusch, weil alles, was noch festgenagelt ist, wie das Werk einer Riesenmaschine summt. Ein großer Gegenstand schlägt auf der Außenwand auf.
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