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Osama (German Edition)

Osama (German Edition)

Titel: Osama (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lavie Tidhar
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müde aus, mit fleckigem Gesicht und blutunterlaufenen Augen. Die Lebendigkeit war aus ihm gewichen. »Wenn Sie ihn finden, sagen Sie mir dann Bescheid?«
    Joe hatte nichts zu verlieren. Er brauchte die Hilfe des Verlegers. Er sagte: »Wenn ich kann, ja.«
    Der dicke Mann stellte sein Glas auf den kleinen Couchtisch. »Ich schreibe sie Ihnen auf. Ich will, dass Sie gehen.« Jetzt zitterte er sichtlich, und das Glas war beim Abstellen heftig auf dem Tisch aufgeschlagen. Auf einem der Bücherregale entdeckte der Mann ein Stück Papier und einen Stift und kritzelte ein paar Zeilen hin. »Nehmen Sie es«, sagte er. »Jetzt verschwinden Sie. Machen Sie die Tür hinter sich zu.«
    »Danke«, sagte Joe, doch der dicke Mann hörte ihm schon nicht mehr zu. Als Joe ging, konnte er sich einen letzten Blick nicht verkneifen: Durch den Eingang spähend sah er, dass der dicke Mann sich nach einem hohen Regal streckte und ein großes, in Leder gebundenes Buch herunterholte. Als er das Buch aufschlug, hatte Joe genug gesehen. Er ging und machte die Tür hinter sich zu.
    Das Buch war hohl gewesen, und er hatte die Utensilien darin gesehen.

Sackgasse
    Wieder im Montmartre Hotel, wusch Joe sich unter warmem rostrotem Wasser, das aus dem alten Duschkopf spritzte. Eine einsame Kakerlake krabbelte, so weit sie konnte, vom Wasser weg. Der ganze Körper tat Joe weh. Nachdem er sich abgetrocknet hatte und durch den dunklen Gang wieder in sein Zimmer getrippelt war, legte er sich aufs Bett und starrte die Decke an. Flecken ohne eine bestimmte Form starrten zurück, und sein müder Verstand versuchte, ihnen eine Ordnung aufzuerlegen, so dass die Unformen sich durch den Filter seines Geistes in bestimmte Formen verwandelten: Flugzeuge, Züge und einstürzende Gebäude. Am Ende hatte er den Geruch im Zimmer des Verlegers erkannt; hätte ihn schon früher erkennen müssen; derselbe Geruch, der an seinem Freund Alfred haftete, der Geruch von weiterverarbeitetem Mohn, aber er wusste nicht, was das bedeutete, ob diese Tatsache von Belang war. Er starrte die hingekritzelte Notiz von Papadopoulos an. Paris war – eine Sackgasse gewesen, nein, nicht ganz – nur ein toter Briefkasten. Longshott war nicht dort, nur seine Bücher waren es.
    Es gab Fragen, die er stellen musste, aber wieder verspürte er nicht den Drang, sie zu stellen. Dennoch würde er der Spur nachgehen. In Paris gab es für ihn jetzt nichts mehr außer dem unguten, nagenden Gefühl, einem verblassenden Traum gleich, dass er einmal in Monceau und dass damals ein Mädchen bei ihm gewesen war. Es war ein Frühlingstag, und sie hatten in einer nahe gelegenen Brasserie gegessen und dann spontan einen Spaziergang zum Park gemacht, wo sie zusammen auf einer Bank gesessen hatten: sonst nichts. Auf dem harten Kissen schüttelte er den Kopf, stand auf und beschloss, dass es jetzt doch Zeit für einen Drink war. Irgendwo war es immer Zeit für einen Drink. Draußen konnte er Kindergeschrei und das Schlapp-Schlapp-Schlapp von rennenden Füßen in Sandalen auf dem harten Straßenbelag hören, und als er zum Fenster hinausstarrte, war der Drei-Karten-Mann immer noch da, der nach wie vor Passanten dazu verlockte, die Rote zu suchen. Ihm fiel auf, dass der Hut, den er am ersten Tag gekauft hatte, noch immer im Zimmer an der Kommode hing, und er setzte ihn auf, zog ihn schief zurecht und verließ das Zimmer. Auf dem Weg nach Pigalle schaute er in den Schaufenstern prüfend sein Spiegelbild an und glaubte einen Moment lang, einen Mann mit schwarzen Schuhen hinter sich gesehen zu haben, doch als er sich umdrehte, konnte er außer dem Menschengewühl nichts sehen, und außerdem war es ihm sowieso egal. Paris war ein Labyrinth von Straßen, die nirgendwohin führten, eine Landkarte, deren Richtungsangaben sonst wohin wiesen, ein Gewirr von Kreidepfeilen, die alle in eine Sackgasse zeigten. Die Bar, die er betrat, hätte eine sein können, in der er schon gewesen war, oder eine andere, das konnte er wirklich nicht sagen, und es war ihm auch egal. Dort war es ruhig, und er bestellte Scotch, ohne sich um das Eis zu kümmern. Später ging er zum Hotel zurück, holte seine Sachen und checkte aus. Während er durch die überfüllten Straßen auf den Gare du Nord zusteuerte, ging über der Stadt die Sonne unter. Und dann, als er sich dem großen Bahnhofsgebäude näherte, dessen Bögen und Türmchen sich gegen den dunkler werdenden Himmel abhoben, sah er die Frau aus der Bar wieder.
    Zusammengerollt lag sie an

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