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Osama (German Edition)

Osama (German Edition)

Titel: Osama (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lavie Tidhar
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ihrem Fell. Die Lampenschirme leuchten grell. Für die unruhigen Schatten und die Heimatlosen gibt es in der Stille der Nacht eine Atempause. Im nächtlichen Wind liegt eine lebendige Kälte, die Straßenlaternen markieren das Verstreichen der Jahre.
    Er stieß einen zitternden Strom von Rauch aus. Vier Männer hinter sich gelassen. Aber du bist nicht da. Sie suchen dich, suchen dich überall. Du bist die gut versteckte Hand, und das Skalpell, das dafür sorgt, dass der Tumor entfernt wird, die Haut also aufgeschnitten, das Leiden kuriert, der Fehler berichtigt, die Welt ist noch einmal auf Kurs gebracht.
    Vier Männer hinter sich gelassen. Ein Mann vor ihm, immer vor ihm. Das blaue Licht lockte, nicht weit entfernt. Joe dachte: Gott lebt in den Wolken wie Rauch, er hat einen langen grauen Bart.
    Kein gutes Gefühl. In der Nacht ist die Einsamkeit wie durch eine Lupe vergrößert. Er dachte an die lange arktische Nacht, Selbstmorde in Island, schauderte. Holte Mos Notizbuch hervor: letzter Eintrag, Seite sieben, fast ganz oben. Hab sie gefunden. Joe zog einen Stift heraus, strich ihn durch.
    Das Licht vor ihm, wie eine Polizeizelle, die lauthals Sicherheit verhieß. Er wusste nicht, wo er war, irgendwo im Labyrinth namenloser Straßen. Auf der einen Seite eine Buchhandlung für Schmuddelliteratur, auf der anderen ein Spirituosengeschäft, beide zu, in den Fenstern verstaubte Schilder mit der Aufschrift Geschlossen . Eine verschlossene Tür, das blaue Licht darüber in Notenschrift gestaltet, der Name darunter wie eine Atempause am Ende eines langen Satzes: The Blue Note .
    Die Karte in seiner Tasche. Die junge Frau – seine Auftraggeberin. Eine entsprechende Karte in Mos Mantel, hastiges Gekritzel in seinem Notizbuch: Joe klopfte an die Tür.

Flüchtlinge
    Ein Gitter in der Tür glitt zur Seite. Augen betrachteten ihn von innen. Er konnte die leisen Töne einer Jazzmelodie hören. Eine Stimme aus dem Dunkel: »Was wollen Sie?«
    Joe: »Einen Drink.«
    »Kenn ich Sie?«
    »Wüsste nicht, woher.« Er blies Rauch aus, durch die Öffnung hindurch. Von drinnen: »Arschloch!« – ein Husten.
    »Lassen Sie mich jetzt rein?«
    »Nur für Mitglieder. Verschwinden Sie.«
    Joe – Mos Notizbuch – Erinnerung: R. im BN getroffen . Er sagte: »Ich möchte Rick sprechen.«
    Schweigen, ein Seufzen. Die Stimme: »Alle kommen zu Rick.«
    Joe: Mir doch scheißegal .
    Das Gitter schob sich zu – die Tür ging auf. Joe trat hindurch.
    Hinter der Tür: Tische, eine lange Bar, eine kleine Bühne. Die Lichter gedämpft. Ein Klavierspieler, der auf die Tasten einhämmerte. Die Melodie vertraut, der Titel fiel ihm jedoch nicht ein. Stühle um die Tische herum – besetzt. Gesichter waren in dem dämmrigen Licht nur schwer auszumachen.
    Die Stimme löste sich zu einer Gestalt auf. »Das war nicht nett, mir den Rauch ins Gesicht zu blasen.« Breites Gesicht. Tief liegende Augen. Die vorwurfsvoll auf Joe herabblickten. »Ich bin Asthmatiker.«
    Joe: »Sie sind im falschen Metier.«
    Der Mann hustete, legte Joe die Hand auf die Schulter, drückte zu. Joe biss die Zähne zusammen.
    »Klugscheißer sind nicht gerade beliebt.«
    »Ich werd versuchen, dran zu denken.«
    »Tun Sie das.« Die Hand ließ ihn los, klopfte ihm auf den Rücken – mit solcher Wucht, dass er vorwärts und in den Raum gestoßen wurde. »Rick ist im Büro, er kommt gleich runter. Holen Sie sich inzwischen was zu trinken – die Show fängt jeden Augenblick an.«
    Joe murmelte: »Danke.« Ging zur Bar. Schweigende Gestalten an den Tischen: Getränke, Zigaretten. Warten.
    Passagiere in einer Flughafenlounge, auf dem Weg nach nirgendwo, dachte er. In dem Raum gab es keine Uhren. Hier hatte man das Gefühl, die Zeit wäre stehen geblieben und konserviert worden.
    An der Bar: ein großer, dünner Mann. »Was soll’s sein?«
    »Whisky, einen doppelten. Pur.«
    »Sie sehen aus, als könnten Sie einen brauchen.«
    Darauf reagierte Joe nicht. »Und einen Café américain.«
    Barkeeper: »Das ist nur schwarzer Kaffee, oder?«
    Joe, müde. »Machen Sie’s einfach.« Er legte Bargeld auf den Tresen, das der Barkeeper verschwinden ließ.
    Der Whisky brannte in Joes Innerem wie angezündetes Öl auf der Meeresoberfläche. Der Kaffee war schwarz und bitter: noch einmal Öl, schlickig und dunkel, entstanden aus den verfaulten Knochen einer lange vor der Geburt der Menschheit ausgestorbenen Megafauna. »Mit dem Zeug hier kann man ja ein Auto betanken«, sagte Joe, auf den Kaffee

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