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Osama (German Edition)

Osama (German Edition)

Titel: Osama (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lavie Tidhar
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war warm. Auf Taillenhöhe des Gefangenen gab es in der grauen Farbe einen langen, gezackten Kratzer. Die Tür hatte keinen Griff. »Osama«, sagte er, auch dieses Wort kostend wie einen fremden Wein mit Anklängen von Säure und etwas Rost. »Osama bin Laden.«
    Die Schatten zischten, wie Marionetten in einem Theater. Ich bin bereit, dachte der Gefangene. Er dachte an die Frau. Er stellte sich Berge vor. Langsam zog er sich aus: Irgendwann waren seine Kleider weg gewesen, und man hatte ihm einen blutorangefarbenen Gefangenen-Overall ohne Gürtel gegeben, aus dem er sich erleichtert herausschälte, und dann stand er nackt da und drückte, beide Hände flach am Metall, gegen die Tür.
    Die Stimmen nahmen an Tonhöhe und an Erregung zu. Gelbes Licht sickerte unter der Tür durch und wurde dabei weiß. Er glaubte, einen Windstoß spüren zu können, kalt und klar: einen Bergwind, der um die Ränder der Tür hereinfloss und dann -flutete. Er drückte, und das weiße Licht wurde heller, die Helligkeit einer gelben Sonne, und deren Wärme lag auf seiner nackten Haut. Er drückte, und die Tür ging auf, oder verschwand vielleicht, und die Stimmen erhoben sich zu einem unerträglichen Crescendo. Für einen langen Augenblick stand der Gefangene bloß da und sah hinaus. Er dachte an Freiheit. Das war das, was man hatte, wenn man nichts mehr zu verlieren hatte. Er starrte auf das Rechteck aus hellem Licht, und einen Moment lang war es still. Die Stimmen waren ihm vorausgeflohen, warteten auf der anderen Seite auf ihn.
    Versuchsweise legte der Gefangene die Hand an das Rechteck aus Licht. Es gab keinen Widerstand. Er konnte die wartenden Stimmen spüren. Der Gefangene erschauerte einmal und stand reglos da.
    Joe trat durch die Tür.

IM ÜBERGANG
    Geistergeschichten
    Heute Morgen saß ein Blauhäher vor meinem Fenster. Seine Kopfhaube war vollständig aufgestellt, was darauf hindeutete, dass er erregt war, oder aggressiv. Sie sind aggressive Vögel, die Blauhäher. Sie sind robust, anpassungsfähig und besiedeln seit Jahrzehnten neue Lebensräume. Sie mögen helle, glänzende Gegenstände wie Münzen und stehen, nicht ganz zu Recht, in dem Ruf, die Nester anderer Vögel zu plündern und Eier und Jungvögel, ja sogar die Nester selbst zu stehlen. Sie sind sehr schöne Vögel, die Blauhäher. Ich glaube, dieser war ein Männchen. Ich habe ihn mir durch die Scheibe genau angesehen, und er hat meinen Blick erwidert, und das Sonnenlicht strömte durchs Fenster herein, und es sah aus, als würde es ein schöner Tag werden. Ich war früh auf den Beinen, weil ich zum Flughafen musste. Die Farbe eines Blauhähers kommt nicht von der Pigmentierung, sondern von der speziellen Struktur seiner Federn. Wenn man die Feder zerdrückt, verblasst bei der Zerstörung ihrer Struktur allmählich das Blau. Ich stand auf, ohne meine Frau zu wecken, und ging nach unten in die Küche. Ich stellte den Kaffee an, sah, während ich darauf wartete, meine Schallplatten durch und legte schließlich Duke Ellingtons Mood Indigo mit Duke am Klavier, Joe Nanton an der Posaune, Bigard an der Klarinette, Fred Guy am Banjo, Braud am Bass und Sonny Greer am Schlagzeug auf. Das Album hatte ich als Kind gekauft, als es noch in jedem Laden Schallplatten gab, und ich kannte jede Rille und jeden Kratzer auf dieser alten Platte. Ich goss mir Kaffee ein, während ich Duke Ellington lauschte, und sah, dass der Blauhäher mir hinunter zur Küche gefolgt war und durchs Fenster auf mich einschwatzte. Als der Kaffee alle war, ging ich wieder nach oben, die Pianoklänge im Gefolge, zog mich an, putzte mir die Zähne und nahm meinen Koffer, der schon gepackt war. Meine Frau drehte sich auf den Rücken, schlug die Augen auf und lächelte mich schläfrig an, ich bückte mich und küsste sie, und dann rollte sie sich zurück und schlief wieder ein. Jetzt wünschte ich, ich hätte ihr gesagt, dass ich sie liebe. Ich ging nach unten, nahm die Platte vom Plattenteller, ließ sie vorsichtig in ihre Hülle gleiten und stellte sie zu den anderen. Bevor ich ging, strich ich geistesabwesend mit der Hand über die Schallplatten. Als ich das Haus verließ, war der Blauhäher nicht mehr zu sehen. Mit halb geöffnetem Fenster fuhr ich zum Flughafen. Von einem Imbiss ein Stück die Straße runter roch es nach Pfannkuchen. Am Flughafen angekommen, ließ ich das Auto auf dem Parkplatz stehen und ging in die Abfertigungshalle. Ich musste zu einem Meeting nach Los Angeles, und als ich, auf den Abflug

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