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Osama (German Edition)

Osama (German Edition)

Titel: Osama (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lavie Tidhar
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Einhalt gebieten, da war Feuer, überall Feuer. Dann gab es einen Stich, etwas biss mich, und der Schmerz begann nachzulassen – ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Der Schmerz verschwand, und ich hörte jemanden sagen: »Das Morphium müsste genügen«, und die Welt verengte sich von der Hölle zu einem Krankenhausbett, und ich hatte keine Schmerzen mehr. Es war das beste Gefühl auf der Welt, dieses Fehlen von Schmerz. Ich lag nur da, und ich war so erleichtert. Dann schlief ich ein. Glaube ich jedenfalls.
    ***
    Hinten an der Rückenlehne meines Vordermanns war ein herzförmiger Fleck. Man konnte kaum atmen. Da, wo Leute sich übergeben hatten, hing ein schwerer Geruch von Erbrochenem. Ich hatte einen Fensterplatz. Ich sah zum Fenster hinaus. Ich hatte meine Faust im Mund und biss darauf, so fest, dass ich blutete. Ich hörte jemanden telefonieren, leise. »Es wird schlimmer, Dad«, sagte er. Da war ein Kind, ein Mädchen, und es weinte. Ich versuchte, nicht an die tote Stewardess zu denken. Sie hatten sie erstochen. Ich sah zum Fenster hinaus. Der Himmel war so blau. New York unter uns war schön. Bis dahin war ich immer gern geflogen. Ich versuchte, die Schreie zu überhören. Ich spürte, dass wir sanken, und ohne nachzudenken, ließ ich meine Ohren knacken, wie ich es immer tue. Ich ließ meine Ohren knacken. Keine Ahnung, warum ich das gemacht habe. Durchs Fenster konnte ich die Türme sehen. Meine linke Hand ruhte am Fensterrahmen. Die rechte befand sich immer noch in meinem Mund. Einer der Türme brannte. Jemand sagte: »Ach du Scheiße! Ach du Scheiße!«, immer wieder. Die Türme kamen sehr schnell näher. Dann gab es einen Lärm, wie tausend Knochen, die brechen.

TEIL SECHS
    Endspiel

Postkarten
    In einer ruhigen Straße kam er wieder zu sich und erbrach sich heftig auf seine Schuhe. Erst als er damit fertig war, richtete er sich auf. Ihm war flau im Magen, eine Turbulenz, eine aufgewühlte See, die sich in einem Sturm hierhin und dorthin wälzte. Er übergab sich von neuem, fast anmutig, verfehlte seine Schuhspitzen, so dass eine Lache aus Magenflüssigkeit, nahezu klarem Wasser, in den harten, trockenen Boden darunter sickerte. Als er sich zum zweiten Mal aufrichtete, wischte er sich mit dem Handrücken den Mund ab, in der Kehle ein Brennen von der ausgestoßenen Säure. Er nahm sich den Hut vom Kopf und klopfte ihn ab, wobei er einen kleinen Staubsturm aufwirbelte.
    Joe, die staubige Straße, zu seinen Füßen die Lache von Erbrochenem. Zu beiden Seiten tief gelegene Häuser, kleine Gärten, ein paar altmodische Kastenwagen planlos am Straßenrand abgestellt. Die Schuhe waren aus Leder, weich, abgenutzt, braun und sehr bequem, als wären sie schon lange von ihm getragen worden. Hose, ein leichtes Hemd, das von der Hitze bereits Schweißflecken bekam. Er drehte den Hut in seinen Händen um. Es war der breitkrempige Hut, den er in Paris gekauft und schon verloren geglaubt hatte. Als er den Blick über die Dächer der Häuser hob, konnte er in der Ferne die in Wolken gehüllten Berge aufragen sehen. Jenseits von ihnen schien, knapp außer Reichweite, eine ganze Welt verborgen zu sein. Er sah die staubige Straße hinunter und ließ die Hände seitlich an seinen Körper sinken, und einen Moment lang erwartete er, dort zwei an seinen Gürtel geschnallte Pistolen vorzufinden, aber da war nichts, und er verspürte eine Enttäuschung, die er, hätte man ihn gebeten, sie in Worte zu fassen, nicht hätte erklären können.
    Die Stimmen um ihn herum waren verstummt. Die Sonne stand hoch am Himmel, und es gab wenige Schatten. Er ging die Straße hinunter, und bei jedem Schritt wirbelten seine Füße winzige Staubteufel auf. Die Berge beherrschten seine Aussicht. Er fühlte sich von ihnen ebenso angezogen wie abgestoßen, so als verbärgen sie in ihrer ungeheuren Ruhe eine Vielzahl von Geheimnissen, die er gerne gekannt und vor deren Enthüllung er sich gefürchtet hätte. Er stieß auf eine Hauptstraße. In der Ferne stand eine Moschee, deren Minarette sich in den unglaublich hellen Himmel reckten. Er kam an einer Schule vorbei, in deren Hof Kinder in weißen Hemden schubsend und kreischend und lachend spielten. Auf der anderen Straßenseite war ein Laden, und er ging hinein und kaufte, nachdem er Geld in seiner Tasche entdeckt hatte, schweigend ein Päckchen Zigaretten. Das Geld war in einer Kursivschrift bedruckt, die er nicht kannte. Genau wie die Zigarettenschachtel. »Was ist das?«, fragte er auf

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