Osama (German Edition)
wartend, in der Maschine saß, machte ich mir auf einem Schmierzettel Notizen, Dinge, die ich sagen wollte, hauptsächlich aber einfach Gekritzel.
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Der Grund, weshalb ich an diesem Tag im Bus saß, war das große Durcheinander, das rund um King’s Cross herrschte, es war die Rede von einem Stromausfall, aber um ehrlich zu sein, wusste niemand, was los war. Am Bahnhof Euston wurde die U-Bahn evakuiert, und es war wie ein Meer aus nervösen, gereizten Menschen, zu viele Körper zusammen in einer Menge, die versuchten, zur Arbeit zu kommen, vorwärtsschoben, und die Busse krochen in den Busbahnhof, als wären sie von einer Sommererkältung befallene Schnecken mit roten Schneckenhäusern. Da ich schon spät dran war und an diesem Tag eine Präsentation halten musste, drängelte ich mich zum Bus durch und schaffte es irgendwie, einen Platz zu ergattern – ich saß auf dem Oberdeck am Fenster und blickte auf den Bahnhof hinaus. Da fiel mir ein Junge auf, der sich von der Menge löste, in einen relativ ruhigen Bereich ging, wo er stehen blieb und ein Päckchen Zigaretten hervorholte. Er hatte gewelltes braunes Haar und trug Kopfhörer, und während er rauchte, nickte er zum Takt der Musik mit dem Kopf – ich weiß noch, dass ich überlegte, welches Album er sich wohl anhörte, und außerdem versuchte, seine Augen zu sehen. Für einen kurzen Augenblick hob er den Kopf, als der Bus aus dem Bahnhof hinausfuhr, und ich glaube, dass er mich sah, wir blickten einander an, und er lächelte. Er hatte ein nettes Lächeln. Für einen kurzen Augenblick hatte ich verrückterweise Lust, aus dem Bus auszusteigen, mich durch all die wartenden Leute hindurchzuschieben, zu diesem Kerl hinzugehen, etwas zu sagen, keine Ahnung, was. Vielleicht einfach nur zu lächeln und eine Zigarette zu schnorren. Ihn vielleicht nach der Uhrzeit zu fragen oder ob er sich einen Kaffee holen wolle. Irgendwas. Aber so was tue ich nie, und der Bus fuhr ja sowieso schon aus dem Bahnhof, und der Typ blickte in eine andere Richtung, und ich lehnte mich zurück, und als ich wieder durchs Fenster sah, war er verschwunden.
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Ich kam gerne im April nach Dahab, wenn es in Europa noch kalt und der Frühling höchstens ansatzweise zu erahnen, der Sinai dagegen heiß und trocken und schön war. Ich saß gerne auf den Sitzkissen in den Strandrestaurants, rauchte eine Shisha und blickte aufs Rote Meer hinaus. Besonders gerne saß ich in der Abenddämmerung dort, wenn eine Art von Stille über allem lag, und beobachtete den Sonnenuntergang mit meinen Schatten darauf. Ich kam jedes Jahr nach Dahab, auch nach den Bombenattentaten in Ra’s Schaitan, ja sogar nach den Anschlägen von Scharm im darauffolgenden Jahr. Man kann nicht aufhören, sein Leben zu leben. Und es war ruhiger hier, obwohl es immer noch Touristen gab, die von überall her kamen. Über Jahre hinweg bin ich auf den Sinai gekommen. Nirgendwo sonst herrscht eine Hitze wie hier. Die Sonne ist so stark, und das Licht durchdringt alles mit der Qualität von altem, feinem Ton, was die Dinge undurchsichtig und zerbrechlich erscheinen lässt. Und das Haschisch ist gut. Ich saß in dem Restaurant und überlegte gerade, was ich bestellen sollte, dachte an einen Dip aus rauchig gewürzten gebratenen Auberginen, erahnte, schon bevor ich es aussprach, den Geschmack des Essens auf meiner Zunge, als es passierte.
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Die Explosion kam wie ein Gewitter in einer Bucht, wenn der Lärm rollt und, von einem Ufer zum anderen widerhallend, immer weiterrollt. Ich saß in einem Bus aus Ugi. Vor der amerikanischen Botschaft hielt er an. Ich sah einen Lastwagen vor der Botschaft halten. Ich sah einen Mann aussteigen. Ich sah ihn seinen Arm schwingen und hörte einen Knall. Der letzte Anblick, an den ich mich erinnere, ist die einstürzende Fensterscheibe. Sie fiel auf mich zu. Es fühlte sich so an, wie wenn früher, als ich noch ein Mädchen war, am Strand die Wellen über mich hinwegschwappten. Ich muss nach hinten geworfen worden sein. Ich hielt mir die Hand an den Mund und stellte fest, dass ich keine Zähne mehr hatte. Ich berührte meine Augen, aber da war nichts. Ich empfand keine Schmerzen, aber ich erinnere mich, dass ich mir Gedanken über mein Haar machte. Ich versuchte, meine Haare zu berühren, konnte sie aber nicht fühlen. Ich würde sie mir nachmittags in einem Salon auf der Ngara Road machen lassen.
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Ärsche und Ellbogen. Ärsche und Ellbogen waren da drin. Kaum war der Notruf eingegangen,
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