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Oscar

Oscar

Titel: Oscar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Dosa
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munter.«
    Er strahlte. »Ich habe eben Glück gehabt, Dr.Dosa. Aber eigentlich ist die Methode ganz einfach: acht Stunden Schlaf, eine gesunde Ernährung und viel Liebe!«
    Wer konnte dem widersprechen?
    Kaum war ich auf den Flur getreten, als schon Donna Richards, unsere Praxischefin, auf mich zukam. Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und sah ein wenig genervt drein.
    »Sind Sie jetzt fertig?«, fragte sie.
    Ich nickte.
    »In Zimmer drei wartet eine neue Patientin auf Sie, die allmählich unruhig wird. Ihr Mann ist schon herausgekommen, um sich zu erkundigen, wo der Arzt bleibt. Ich habe ihn beschwichtigt, aber jetzt müssen Sie sich wirklich beeilen.«
    Ich sagte ihr, ich würde mich bemühen. Gerade Donna hätte eigentlich wissen sollen, wie schwer es war, sich auf angemessene Weise um ältere Patienten zu kümmern und ihnen die Zeit zu gönnen, die sie brauchten. Ihre eigene Mutter war Patientin bei uns gewesen.
    Ich griff nach der betreffenden Patientenakte und nahm mir einen Augenblick Zeit, den Befund eines Kollegen zu studieren, bevor ich an die Tür klopfte. Das gut gekleidete Paar, das ich vorfand, sah etwas indigniert drein. Der Mann hob den linken Arm und tippte mit dem Zeigefinger mehrfach auf seine Uhr.
    »Also, Dr.Dosa, unser Termin war um vierzehn Uhr fünfzehn. Sie kommen zwanzig Minuten zu spät.«
    »Freut mich, Sie kennenzulernen, Mr. und Mrs.Rubenstein. Es tut mir leid, dass Sie auf mich warten mussten. Bitte entschuldigen Sie!«
    Zum Arzt zu gehen ist etwas anderes, als sich die Schuhe putzen zu lassen, und leider kommt es gelegentlich vor, dass manche Patienten mehr Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen als geplant. Im Lauf der Jahre habe ich allerdings gelernt, dass Erklärungen alles nur schlimmer machen. Eine einfache Entschuldigung wirkt besser. In diesem Fall funktionierte das jedoch nicht.
    Frank Rubenstein war gekränkt, nicht seinetwegen, wie mir bald klar wurde, sondern wegen seiner Frau. Er war ein Kavalier der alten Schule, was offenkundig auch auf seine Herkunft zurückzuführen war. Ich erkannte seinen osteuropäischen Tonfall, der mich an meine Eltern erinnerte, und seinen Habitus glaubte ich auch zu erkennen.
    Fürsorglichkeit nimmt vielerlei Gestalt an, habe ich als Arzt erfahren. Allerdings ist sie leichter zu erkennen, wenn sie uns als sanftes Schnurren entgegentritt statt in Form eines rauen Knurrens. Frank benahm sich wie ein Löwe, der seine Löwin vor einem echten oder auch nur imaginären Feind beschützte. Ich stellte zwar eigentlich keine Bedrohung für seine Frau dar, ganz im Gegenteil; ich war einfach nur zum falschen Zeitpunkt anwesend. Was sie tatsächlich bedrohte, kam aus ihrem Innern.
    Ruth Rubenstein, die ihrem Mann gegenübersaß, blickte etwas verlegen drein.
    »Ach, Doktor, bitte verzeihen Sie, dass mein Mann so unhöflich ist. Bestimmt müssen Sie sich um viele andere Patienten kümmern. Frank geht einfach nicht gern zum Arzt, das ist alles.«
    Sie schenkte mir ein entwaffnendes Lächeln und wandte sich dann rasch ihrem Mann zu, den sie strafend anstarrte. Er begriff, was gemeint war; schließlich waren die beiden schon lange genug verheiratet. Während sie sich in die Augen sahen, hatte ich Zeit, mir Ruth genauer anzuschauen. Sie trug einen langen, gepflegten Rock und eine weiße Bluse. Mit ihren blaugrünen Augen, die viel Wärme ausstrahlten, sah sie erstaunlich attraktiv aus. Das lange, silberne Haar hatte sie mit einer kostbaren, perlenbesetzten Haarnadel hinter den Ohren zusammengezogen. Ihre Haut hatte eine regelrecht jugendliche Spannkraft, und auf den ersten Blick hatte ich den Eindruck, dass diese Frau bei bester Gesundheit war.
    Ich bot ihr die Hand, die sie mit festem Griff umfasste. Im selben Augenblick war ich von einer Wolke aus Parfüm umhüllt. Mir wurde bange zumute.
    Als ich mich zu ihr beugte, bestätigte sich mein Verdacht. Unter dem Duft von Kölnisch Wasser nahm ich den muffigen Geruch von Urin wahr, ein untrügliches Zeichen für Inkontinenz.
    Ich stellte mich noch einmal förmlich vor und fragte, was ich für die beiden tun könne. Daraufhin begann Mr.Rubenstein mit einer umständlichen Erklärung.
    »Doktor, wie Sie sich wahrscheinlich denken können, sind wir nicht gerne hier, aber ich mache mir Sorgen um die Gesundheit meiner Frau.«
    Er blickte zu Boden, um sich zu sammeln.
    »Ich mache mir Sorgen, weil …«, wiederholte er, verstummte jedoch mitten im Satz. Offenbar suchte er nach den richtigen Worten, um mir den heiklen

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