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Oscar

Oscar

Titel: Oscar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Dosa
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Zustand seiner Frau vor Augen zu führen.
    »Sprechen Sie nur weiter«, sagte ich und nickte ihm aufmunternd zu.
    Er hob den Blick und fand die Stimme wieder. »In letzter Zeit verhält sich meine Frau manchmal ein wenig seltsam. Zum Beispiel verliert sie bestimmte Dinge. Neulich konnte sie ihren Schlüsselbund nicht finden und hat mir die Schuld daran gegeben. Schließlich habe ich ihn im Kühlschrank entdeckt, neben dem Gemüse, das sie gerade gekauft hatte. Außerdem hat sie sich auf dem Heimweg vom Supermarkt schon ein paar Mal verirrt. Als sie mich deshalb einmal anrief, war sie in einem ganz anderen Stadtviertel gelandet.«
    Er warf einen Seitenblick auf Mrs.Rubenstein, die so tat, als spräche er über jemand anders. Unverwandt betrachtete sie die Zeitschrift, die auf ihrem Schoß lag.
    Frank sprach weiter. Er war wohl etwa so alt wie seine Frau, sah jedoch deutlich älter aus. Gekleidet war er in einen altmodischen Anzug im Stil der frühen siebziger Jahre. Zweifellos war er dessen erster Besitzer. Sein schütteres Haar war ungekämmt.
    Während er weitere Beispiele für die kognitive Beeinträchtigung seiner Frau anführte – wie sie eines Tages vergessen hatte, sich nach dem Einkauf mit ihm in einem Café zu treffen und wie sie morgens einmal die Milch ins Küchenregal statt in den Kühlschrank gestellt hatte –, beobachtete ich aus dem Augenwinkel, welche Wirkung das hatte. Inzwischen lauschte Ruth nämlich seinen Worten, und ihre Blicke drückten aus, dass ihr die gar nicht passten.
    Als Frank fertig war, stellte ich Ruth allerhand alltägliche Fragen, die dazu dienen sollten, ihre Gedächtnisleistung zu beurteilen. Vielen von ihnen wich sie geschickt aus, wobei sie oft ihren Mann ins Spiel brachte. Zwischen zwei Menschen, die schon sehr lange verheiratet sind, hat sich oft eine fast symbiotische Beziehung entwickelt, und das galt auch für die Rubensteins. Als ich mich bei Ruth beispielsweise nach ihrem Lieblingsrestaurant erkundigte, gab sie die Frage einfach weiter.
    »Liebling«, wandte sie sich kokett an ihren Mann, »wie heißt noch mal das Restaurant, wo wir neulich gegessen haben?«
    »Das war der Golden Palace, Ruth.«
    »Ach ja!«, rief sie aus. »Waren Sie auch schon einmal dort, Doktor?«
    Ich schüttelte verneinend den Kopf.
    »Dann müssen Sie es unbedingt ausprobieren. Wir essen wirklich gerne dort. Die Küche ist phantastisch!«
    »Was ist denn da Ihr Lieblingsgericht?«, setzte ich meine detektivische Arbeit fort.
    »Ach, ich mag einfach alles.«
    »Und was haben Sie gegessen, als Sie das letzte Mal dort waren?«
    Ruth starrte mich verständnislos an. Ich stellte mir vor, wie sie ihren mentalen Kalender durchblätterte und nur leere Seiten fand. Schließlich wandte sie sich ihrem Mann zu und sah ihn hilflos an.
    »Wir haben Pekingente gegessen«, sagte dieser.
    »Ach, Pekingente, richtig!« Ruth war so zufrieden mit sich, als hätte sie sich selber daran erinnert. »Sehr lecker war die. Die müssen Sie wirklich mal versuchen.«
    Das versprach ich lächelnd. Inzwischen hatte das Gespräch allerdings erheblich an Leichtigkeit verloren. Ihren Charme hatte Ruth sich zwar bewahrt, doch es wurde zunehmend deutlich, dass sie – vorsichtig ausgedrückt – Probleme mit ihrem Gedächtnis hatte. Das verbarg sie geschickt, indem sie bestimmte Fragen an ihren Mann weitergab. Je mehr ich seine Hilfe aber unterband, desto deutlicher wurde ihr Zustand. Die einfachen kognitiven Tests, die ich anschließend mit ihr durchführte, bestätigten meine Vermutung.
    Zuerst gab ich Ruth ein Blatt Papier und einen Kugelschreiber.
    »Bitte zeichnen Sie einen großen Kreis und tun Sie dann so, als wäre der eine Uhr«, sagte ich. »Das heißt, Sie schreiben bitte die Zahlen auf das Ziffernblatt.« Das war eine simple Aufgabe, zu der jede Grundschülerin in der Lage gewesen wäre, aber Ruth hatte Probleme damit. Der Unterstützung ihres Mannes beraubt, schrieb sie mühsam die Ziffern hin, wobei sie jedes Mal innehielt, um die richtige Position zu überdenken, als hinge ihr Leben davon ab. In gewisser Hinsicht tat es das ja auch. Nach einer Minute hob sie den Kopf und sah mich zufrieden an, dann reichte sie mir das Blatt Papier, stolz wie eine Schülerin, die ihren Eltern eine gelungene Prüfung präsentiert. Ich warf einen Blick darauf und stellte fest, dass alle Ziffern von eins bis zwölf korrekt platziert waren. Anschließend gab ich ihr das Blatt zurück.
    »Jetzt möchte ich Sie bitten, die Zeiger so

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