Oscar
einen toten?«
Ida nannte die Dinge gern beim Namen. Ich nickte. »Eine meiner Patientinnen auf der zweiten Etage. Seit ihr Mann gestorben ist, hat sie erkannt, wie wertvoll die gute Zeit war, die sie zusammen verbracht haben. Die Zeit, als alles einfach ganz normal war.«
Ida zog eine Grimasse, als wollte sie sagen:
Davon kann ich ein Lied singen.
»Wie geht es eigentlich Ihren Kindern?«, fragte sie. »Verbringen Sie genügend Zeit mit denen?«
»Ich tue, was ich kann.«
»Können Sie mir nicht ein paar Bilder zeigen? Überhaupt, wie wär’s, wenn Sie sich einen Augenblick zu mir setzen?«
Ich zog einen Stuhl heran und holte dann stolz meinen PDA hervor.
»Ach, wieder einer von diesen neumodischen Apparaten, die Sie immer herumschleppen«, meinte Ida. »Da haben Sie wahrscheinlich Ihr ganzes Leben drauf!«
»Mehr oder weniger«, sagte ich und rief ein paar neuere Fotos auf: die Geburtstagsparty meines Sohns, das erste Lächeln meiner Tochter.
»Sie wissen doch«, lautete Idas Kommentar, »Ihre Kinder aufzuziehen, ist das Wichtigste, was Sie je tun werden. Viel wichtiger als die Forschungsgelder, die Sie ständig beantragen, und als irgendein Patient – außer mir natürlich.«
»Für Sie habe ich bekanntlich immer Zeit, Ida.«
»Dann erzählen Sie mir doch mal, was Sie über unseren Freund Oscar herausbekommen haben.«
Ich sah sie erstaunt an. »Woher wissen Sie das denn?«
»Mary hat es mir gesagt. Sie hält mich auf dem Laufenden. Also, was haben Sie herausgekriegt?«
Ich dachte einen Moment nach, bevor ich antwortete. »Ich habe den Eindruck, je mehr ich erfahre, desto weniger weiß ich. Wie kommt es, dass sich eine Katze so verhält?«
»Wer weiß, Dr.Dosa? Wahrscheinlich gibt es irgendeine wissenschaftliche Erklärung, aber ist die letztendlich von Bedeutung? Oscar ist einfach da, wenn es darauf ankommt.«
»So kann man es natürlich durchaus sehen«, sagte ich, »aber ich komme aus einer Familie von Wissenschaftlern. Leute wie ich stellen sich weniger die Frage, ob ein Geist in der Flasche sitzt, als wie er da hineingekommen ist.«
»Eigentlich soll man bei Flaschengeistern darüber nachdenken, welchen Wunsch man erfüllt haben will«, sagte Ida lachend. »Übrigens, sind Sie gläubig?«
»Also, an Flaschengeister glaube ich jedenfalls nicht.« Glaube und Religion sind Themen, über die ich nicht besonders gerne spreche. »Wenn Sie darauf hinauswollen, ob ich als Kind in den Gottesdienst gegangen bin – das nicht. Mein Vater hat als Junge im katholischen Kirchenchor gesungen, und meine Mutter kommt aus einer jüdischen Familie, aber uns Kinder haben sie eher weltlich aufgezogen.«
»Und wie steht es mit Ihrer Frau?«
»Tja, die kommt aus einem protestantischen Elternhaus. Ich sage immer, wenn wir unseren Sohn als Moslem und unsere Tochter als Buddhistin aufziehen, haben wir alle wichtigen Religionen beisammen.«
»Sie vergessen die Hindus«, sagte Ida. »Das sind die, die an Wiedergeburt glauben.«
»Das stimmt«, sagte ich und lächelte, »dann muss ich wohl noch ein drittes Kind haben.« Ich blickte mich suchend um und deutete dann auf Munchie, der schlafend auf dem Klavierhocker lag. »Wenn wir Glück haben, dann kommen wir im nächsten Leben vielleicht als Katzen auf die Welt.«
»Hm. Hier bei uns führen die tatsächlich ein sehr angenehmes Leben.«
»Im Ernst, Ida, wenn Sie mich fragen, ob ich glaube, dass unser Aufenthalt auf der Erde eine tiefere Bedeutung hat, dann muss ich sagen: Ja. Zumindest hoffe ich das. Eine Arbeit wie meine kann man eigentlich gar nicht tun, ohne zu akzeptieren, dass es in der Medizin viele Geheimnisse gibt, die über das, was man im Studium lernt, hinausgehen.«
Ich stand auf. »Jetzt muss ich aber leider wirklich nach oben gehen.«
»Sie wollen sicher zu der neuen Patientin auf der zweiten Etage«, sagte Ida trocken.
»Ich sollte Sie als Sekretärin einstellen.«
»Wäre gar nicht schlecht. Jedenfalls weiß ich immer Bescheid, was hier läuft, Dr.Dosa.« Sie wies mit dem Kinn auf den Aufzug. »Zum Beispiel habe ich vorher beobachtet, wie die Sanitäter jemanden hereingebracht haben. Besonders gut hat die Frau nicht ausgesehen. Gehen Sie rasch zu ihr, bevor Oscar Ihnen womöglich zuvorkommt.«
Meine Gespräche mit Ida brachten mich oft zum Nachdenken. Diesmal fiel mir meine erste Begegnung mit dem ein, was man gemeinhin als »das Unerklärliche« bezeichnet. Als junger Assistenzarzt an der Universitätsklinik von Pittsburgh war ich eines
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