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Osiris Ritual

Osiris Ritual

Titel: Osiris Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Mann
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dauern.«
    Lächelnd nahm Newbury den Kram vom Stuhl und legte ihn ordentlich
daneben auf den Boden. Dann hängte er den Mantel über die Lehne, stülpte den
Hut über den weißen Porzellankopf, der nebenan auf einem niedrigen Tisch stand
und phrenologischen Studien diente, und ließ sich nieder. Renwick trat
unterdessen mit einer Zange an seine Destille und nahm den Behälter mit der
blubbernden rosafarbenen Flüssigkeit von der Flamme. Ein wenig davon goss er in
eine blaue Kaffeetasse, dann stellte er das Gefäß zurück. Er blies sanft über
die heiße Flüssigkeit und führte sich einen großen Schluck zu Gemüte. Die leere
Tasse stellte er schließlich neben sich auf die Arbeitsfläche. Dann wandte er
sich an Newbury. »Also gut, Ihre kreischende Mumie.«
    Newbury nickte. Er hatte keine Ahnung, was das rosafarbene Gebräu
enthielt, war jedoch sicher, dass neben allem anderen auch eine große Menge
Alkohol dabei war. Renwick beobachtete ihn mit einem seltsamen, offenbar
erregten Blick. »Nun sagen Sie schon, was haben Sie herausgefunden?«
    Renwicks mechanisches Auge knirschte, als es sich auf den Ermittler
der Krone einstellte. Das zweite Auge zuckte nervös. »Ich glaube, ich kenne die
Identität Ihres geheimnisvollen toten Mannes. Es war ein Priester, der etwa
fünfzehnhundert vor Christus dem Pharao Thutmosis dem Ersten in Theben gedient
hat.«
    Â»Fahren Sie fort.«
    Â»Sein Name war Khemosiri, der schwarze Osiris. Sie kennen doch die
Geschichte des Osiris, Newbury?«
    Der Agent zuckte mit den Achseln. »Die Überlieferung ist mir in
groben Zügen bekannt. Aber fahren Sie fort und klären Sie mich auf.« Er lehnte sich an, legte die Finger beider Hände zu einem
Spitzdach zusammen und wartete neugierig.
    Â»Osiris war der König des Totenreichs. Er urteilte über die
Verstorbenen, nachdem er den Gott Anubis als Aufseher über das Nachleben
abgelöst hatte. Für einen ägyptischen Edelmann war das Leben nach dem Tode
überragend wichtig, bot es ihm doch die Möglichkeit, nach dem Dasein in der
körperlichen Welt ewig weiterzuleben. Osiris war der Gott, der die Brücke
zwischen den beiden Reichen bildete und letztlich über das Schicksal der
Menschen entschied. Er sorgte nach der Mumifizierung für die Wiedererweckung
der Toten.« Renwick hielt inne, nahm die Zange und
schenkte sich noch eine Portion der rosafarbenen Flüssigkeit ein. Während er
weitersprach, hielt er die Tasse mit beiden Händen fest. »Osiris war im
ägyptischen Pantheon einzigartig. Die Legende besagt, sein Bruder Seth habe ihn
ermordet – zuerst ertränkt und dann in dreizehn Stücke geschnitten, die er über
ganz Ägypten verstreute. Osiris’ Frau Isis konnte jedoch zwölf Stücke finden
und mit einem gesungenen Zauber, den sie von ihrem Vater lernte, den Toten
wiedererwecken. So waren die Liebenden wieder vereint und zeugten ihren Sohn
Horus. Kurz danach starb Osiris zum zweiten Mal und wurde der König des
Totenreichs.«
    Â»Faszinierend – ein Zauberspruch, der Tote auferstehen lässt. Und
worum geht es beim schwarzen Osiris?«
    Â»Nun, Khemosiri galt lange Zeit als apokryph, eine bloße Fußnote in
der Geschichte des Thutmosis. Eine Geschichte, die als Warnung diente, wenn man
so will, damit der wichtige Glaube an die Wiedergeburt und das Leben nach dem
Tode erhalten bliebe.« Renwick trat an eins seiner hohen Bücherregale, nahm
einen verstaubten Katzenschädel herunter, der vor einer ordentlich
aufgestellten Reihe von Büchern gelegen hatte, und zog einen in Leder
gebundenen Band heraus. Er blätterte ihn zielstrebig durch, fand die Seite, die
er gesucht hatte, kam durch den Raum zurück und gab Newbury das Buch. »Da. Dies
sind die einzigen zeitgenössischen Verweise auf Khemosiri, die wir heute kennen.«
    Newbury betrachtete das Buch. Die erste Seite zierte ein langes
Dokument, das in der Schrift der Priester verfasst war. Die begleitende Fußnote
erklärte, es handele sich um die Mitschrift der Verhandlung gegen einen
Priester. Das Dokument sei etwa zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts im Grab
eines ägyptischen Adligen gefunden worden. Auf der Seite gegenüber war das
Schwarz-Weiß-Foto einer alten Papyrusrolle abgedruckt, die – wenngleich
stilisiert – offenbar den Querschnitt eines menschlichen Schädels zeigte

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