Osiris Ritual
sprechen wollte. Im Laden war
jedoch keine Menschenseele zu entdecken. Es roch nach altem Staub, und er atmete
tief ein und genoss den vertrauten Geruch. SchlieÃlich rief er: »Aldous? Sind
Sie da? Ich bin es, Newbury. Ich habe heute Morgen Ihre Nachricht erhalten und
bin sofort gekommen.«
Irgendwo hinter einem Regal ertönte ein dumpfes, gleichmäÃiges
Pochen. Newbury ging vorsichtig hinüber. Es entstand jenseits der Wand und
klang, als arbeitete dort eine Maschine. »Aldous?«
Das Pochen hörte vorübergehend auf, dann ertönte ein gedämpfter Ruf
aus der gleichen Richtung. »Bin gleich da, Newbury. Moment noch.« Es klang
scharf und ein wenig schrill. Newbury lächelte. Dann setzte das Pochen wieder
ein. Während er wartete, betrachtete Newbury die Bücher in dem Stapel, vor dem
er gerade stand. Viele alte, aber wichtige Werke, alle in ausgezeichnetem
Zustand. Es gab Monografien über die Bedeutung der Dampfkraft im Gartenbau,
Romane von Dickens und gebundene Sammlungen des Blackwoodâs
Magazine . Es war der Traum eines Bücherwurms, aber Newbury wusste, dass
Renwicks wahre Schätze im Hinterzimmer lagerten, wo der gewöhnliche Buchkäufer
sie nie zu sehen bekam.
Gleich darauf hörte Newbury, wie der Antiquar heftig hustete, dann
ging die mit zahlreichen bunten Plakaten beklebte Tür hinter der Theke auf, und
Aldous Renwick stakste herein, die Hand zum Gruà ausgestreckt.
Aldous Renwick war einer der ungewöhnlichsten Menschen, die Newbury
je einen Freund zu nennen das Vergnügen gehabt hatte. Er sah beinahe aus wie
eine wandelnde Karikatur. Er hatte ein grobes, unrasiertes Gesicht mit einem
Stoppelbart auf dem Kinn, ein Büschel chaotischer weiÃer Haare auf dem Kopf und
vergilbte Finger, weil er ein leidenschaftlicher Zigarettenraucher war. Ãber
dem ï¬eckigen weiÃen Hemd, das am Kragen offen stand, trug er eine
schartige Lederschürze. Das linke Auge war durch ein bemerkenswertes
mechanisches Gerät ersetzt worden, das beunruhigend surrte und klickte, wenn er
sich umsah. Der Apparat war sicher nicht so elegant wie diejenigen, die Dr. Fabian
herstellte, doch Renwick war ja nur ein Zivilist, dem obendrein die Funktion
viel wichtiger war als die Ãsthetik. Newbury hatte keine Ahnung, ob das falsche
Auge auf eine freiwillige Entscheidung oder ein früheres, ihm bislang noch
unbekanntes Abenteuer zurückging. Was auch der Grund war, Newbury machte sich
schon lange Gedanken über die Geistesverfassung seines Freundes und fragte
sich, ob der Mann tatsächlich verrückt war oder einfach nur ein wenig zu viel
Einblick in die dunklen Seiten der menschlichen Psyche genommen hatte.
Newbury ging Renwick entgegen und schlug in die angebotene Hand ein.
»Schön, Sie zu sehen, Aldous. Wie geht es Ihnen?«
Der Buchhändler kicherte, das gute Auge zuckte nervös. »Erheblich
besser als Lord Henry Winthrop, würde ich meinen!«
Newbury seufzte. »Tja, das kann man wohl sagen.«
Er suchte den Blick des anderen. »Ich habe Ihre Nachricht bekommen.«
Renwick betrachtete ihn, das seltsame mechanische Auge surrte in der
Höhle. Es ragte wie ein VergröÃerungsglas ein wenig hervor, ganz ähnlich den
Geräten, mit denen Juweliere Edelsteine untersuchten. Newbury wusste jedoch,
dass dieses Gerät direkt mit Renwicks Gehirn verbunden war. Abwesend fragte er
sich, ob dies die Ursache für den Tic oder gar für das ganze neurotische
Benehmen des Mannes war. Eine Glasplatte, die am Ende des Geräts befestigt war,
drehte sich langsam, wenn sich das mechanische Auge scharf stellte. Tief im
Inneren, in den dunklen Abgründen von Renwicks Schädel, bebte und blinkte ein
kleines orangefarbenes Licht, das die Informationen auf den Sehnerv übertrug.
All das hatte der Antiquar Newbury schon einmal vor längerer Zeit erklärt, doch
er war immer noch fasziniert und nervös, wenn er sich in Renwicks Gegenwart
befand.
»Die Nachricht, ja. Es gibt viel zu besprechen.«
Renwick schnaufte vernehmlich und hob die Finger an die Lippen, als erwartete
er, dort eine glühende Zigarette vorzufinden. Offenbar war er enttäuscht, dass
dies nicht zutraf. Er wandte sich an Newbury. »Einen Tee?«
»Ja â¦Â« Der Agent zögerte. »Nun ja, es kommt darauf an. Was genau
meinen Sie mit einem Tee?«
Renwick lachte gackernd. »Keine Sorge, alter Freund, ich kenne Sie
zu gut, um Ihnen
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