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Osten, Westen

Osten, Westen

Titel: Osten, Westen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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machen die Sicherheitskräfte kurzen Prozess.
     
    «Zu Hause» ist in unserem gegenwärtigen Jammertal ein so vager, beschädigter, vielfältiger Begriff geworden. Es gibt so vieles, wonach man sich sehnt. Und es gibt inzwischen kaum noch einen Regenbogen. Was können wir selbst von Zauberschuhen erwarten? Sie haben versprochen, uns nach Hause zu bringen, sind sie aber in der Lage, Metaphern von Heimatlosigkeit zu verstehen, sind Abstraktionen überhaupt zulässig? Kleben die Zauberschuhe an der herkömmlichen Wortbedeutung, oderwerden sie uns gestatten, dieses geliebte Wort neu zu definieren?
    Verlangen, erhoffen wir zu viel?
    Während unsere zahllosen Wünsche aus ihren Verstecken hervorgekrochen kommen und sich um das unter Strom gesetzte Glas drängen – werden die Schuhe wie der uralte Butt der Gebrüder Grimm die Geduld mit unseren ständig wachsenden Forderungen verlieren und uns in die Elendskate unserer Unzufriedenheiten zurückversetzen?
     
    Die Anwesenheit imaginärer Wesen im Auktionssaal könnte der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt. Kinder aus australischen Gemälden des neunzehnten Jahrhunderts sind hier, die in ihren reichgeschnitzten und vergoldeten Rahmen weinen, weil sie sich in der ungeheuren Weite des Outbacks verirrt haben. In blauen Kitteln und kurzen Söckchen blicken sie auf Regenwälder und rote Wüsten und erschauern.
    Ein Literat, der dazu verdammt ist, einem bewaffneten Wahnsinnigen im Dschungel auf Ewigkeit Werke von Dickens vorzulesen, hat eine schriftliche Eingabe gemacht.
    Auf einem Fernsehschirm entdecke ich die zierliche Gestalt eines Außerirdischen mit einer leuchtenden Fingerspitze.

    Dieses Eindringen des Fiktiven in die Welt der Wirklichkeit ist ein Symptom für den moralischen Verfall in unserer postmillennialen Kultur. Helden treten aus Filmbildern heraus und heiraten Mädchen aus dem Publikum. Will das denn gar kein Ende nehmen? Sollte es nicht strengere Kontrollen geben? Übt der Staat etwa nicht genügend Gewalt aus? Über derartige Fragen diskutieren wir immer wieder. Ganz zweifellos ist eine große Mehrheit von uns gegen das freie, ungehinderte Eindringen imaginärer Wesen in eine ohnehin schon geschädigte Wirklichkeit, deren Ressourcen mit jedem Tag weiter abnehmen. Schließlich wollen nur sehr wenige von uns in die umgekehrte Richtung abwandern (obwohl es in letzter Zeit glaubhafte Berichte über eine Zunahme solcher Migrationen gibt).
    Ich möchte derartige Diskussionen vorerst vertagen. Denn nun wird jeden Moment die Auktion beginnen.
     
    Hier muss ich meine Cousine Gale erwähnen und ihre Gewohnheit, bei der Liebe laut zu stöhnen. Dabei will ich ganz offen sein: Meine Cousine Gale war und ist die große Liebe meines Lebens, und sogar jetzt, da wir uns getrennt haben, gerate ich bei der bloßen Erinnerung an ihre geräuschvolle Erotik leicht in Erregung. Ich sollte wohl noch hinzufügen, dass es, von dieser lautstarken Hingabe abgesehen, an unserem Verkehr nichts Anomales gab, nichts, wenn ich es denn so ausdrücken darf, Fiktives. Und dennoch hat er mich zutiefst befriedigt, vor allem, wenn sie im Augenblick der Penetration aufschrie: «Zu Hause, Boy! Zu Hause, Baby! Jawohl – du bist wieder zu Hause!»
    Als ich eines Tages nach Hause kam, überraschte ich sie, wie ich leider gestehen muss, in den Armen eines aus einem Höhlenmenschenfilm entsprungenen Behaarten. Am selben Tag noch zog ich aus und marschierte mit meinem Porträt
von Gale, das sie als Tornado darstellte, auf den Armen und meiner Sammlung alter 78er-Pat-Boone-Platten im Rucksack auf dem Rücken weinend die Straße entlang.
    Das geschah vor vielen Jahren.
    Eine Zeitlang, nachdem Gale mit mir Schluss gemacht hatte, war ich verbittert und tratschte in unserem Bekanntenkreis herum, dass sie im Alter von vierzehn Jahren bei einem Unfall mit einem defekten Jagdstuhl die Unschuld verloren habe; doch diese Rachsucht befriedigte mich nicht sehr lange.
    Seit damals widme ich mich ihrem Andenken. Ich habe mich zur Kerze in ihrem Tempel gemacht.
    Mir ist klar, dass die Gale, die ich bewundere, nach diesen langen Jahren der Trennung und Kommunikationsstille kein ganz und gar realer Mensch mehr ist. Die wirkliche Gale hat sich mit meiner Vorstellung von ihr vermischt, mit meiner ganz persönlichen Phantasie von unserem weiteren Zusammenleben in einem anderen Universum ohne Affenmenschen. Die wirkliche Gale steht inzwischen möglicherweise außerhalb unseres Begriffsvermögens und ist nicht

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