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Osten, Westen

Osten, Westen

Titel: Osten, Westen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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ich erwache, fühle ich mich erfrischt – und frei.
     
    Nächste Woche gibt es wieder eine Auktion. Zum Aufruf kommen Ahnentafeln, Wappen und Adelskalender, in die man je nach Wunsch einen Namen eintragen lassen kann, den eigenen oder den eines geliebten Menschen. Auch Hunde- und Katzenstammbäume werden angeboten: für Deutsche Schäferhunde, Burmesen, Saluki, Siamesen, Cairn-Terrier.
    Dank des unermesslichen Angebots, über das die Auktionatoren verfügen, können wir alle – Katze, Hund, Mann, Frau oder Kind – blaublütig sein; können es sein – wenn wir uns danach sehnen; und wenn wir, in unseren Bunkern kauernd, fürchten, dass wir etwas nicht sind: jemand.

Christoph Kolumbus und Königin Isabella von Spanien erfüllen ihre gemeinsame Bestimmung (Santa Fé 1492)
    Christoph Kolumbus, ein Ausländer, folgt Königin Isabella auf Schritt und Tritt – unermüdlich, ohne je ganz die Hoffnung zu verlieren.
    In welchen charakteristischen Posen?
    Stolz, und doch demütig, mit hocherhobenem Kopf, doch mit gebeugtem Knie. Einschmeichelnd, doch furchtlos; von einer gewissen unverfrorenen Vulgarität, die man ihm dank seines Bauernfängercharmes durchgehen lässt. Im Lauf der Zeit aber treten die gewinnenden Aspekte seines Wesens stärker hervor, während die pöbelhafte Piratenart sich ein wenig abschleift und dünner wird. Genau wie die Sohlen seiner Schuhe.
    Seine Hoffnung. Worauf ist sie gerichtet?
    Auf der Hand liegende Antworten zuerst. Er erhofft sich Bevorzugung. Er möchte sich die Gunst der Königin an den Helm heften wie ein Ritter im Versroman das Tüchlein seiner Dame. (Er besitzt keinen Helm.) Er erhofft sich Bargeld und drei prächtige Schiffe: «Niña», «Pinta», «Santa Maria»; über den Ozean, den blauen, will er segeln im Jahre vierzehnhundertneunzigzwei. Als sich die Königin anlässlich seines ersten Besuchs am Hof persönlich nach seinen Wünschen erkundigte, beugte er sich jedoch über ihre olivbraune Hand und murmelte, die Lippen nur einen Hauch vom
großen Ring ihrer Macht entfernt, ein einziges, gefährliches Wort.
     
    «Erfüllung.»
     
    Diese unmöglichen Ausländer! So eine Unverfrorenheit! «Erfüllung», ich bitte Euch! Und dann ihren Spuren folgen, Monat um Monat, als hätte er auch nur die geringste Chance! Seine ungeschliffenen Episteln, seine misstönenden Serenaden unter ihren Fenstern, die die Königin zwangen, die Läden schließen zu lassen und die kühlende Brise auszusperren! Sie hatte Wichtigeres zu tun, eine Welt zu erobern & so fort, wofür hielt er sich eigentlich?
    Ausländer können hartnäckig sein. Und sie können wegen ihrer Sprachschwierigkeiten auch eine Anspielung überhören. Andererseits dürfen wir wiederum nicht vergessen, dass es als de rigueur gilt, eine Anzahl von Ausländern um sich zu scharen. Sie verleihen allem einen gewissen kosmopolitischen Anstrich. Sie sind oft arm und daher willens, etliche notwendige, doch schmutzige Arbeiten zu übernehmen. Darüber hinaus stellen sie eine Warnung vor allzu großen Selbstgefälligkeit dar, denn die Tatsache" dass sie in unserer Mitte leben, erinnert uns daran, dass es Teile der Welt gibt, in denen auch wir (obwohl das schwer zu verstehen ist) als Ausländer angesehen werden.
    Aber so etwas zur Königin zu sagen!
    Ausländer vergessen, wer sie sind (nachdem sie, was sie waren, hinter sich gelassen haben). Mit der Zeit bilden sie sich ein, unseresgleichen zu sein. Das ist ein unvermeidliches Risiko. Unsere herbe Strenge durchdringen sie mit ihrer schmeichlerischen Italianità. Nichts drauf geben: sich taub stellen, in die andere Richtung schauen. Sie meinen es meistens nicht böse und gehen nur sehr selten zu weit.
Und die Königin, seid versichert, vermag sich ihrer Haut zu wehren.
     
    An Isabellas Hof gerät Kolumbus sehr schnell in den belastenden Ruf, ein Verrückter zu sein. Seine Kleidung ist übertrieben farbig, und außerdem trinkt er im Übermaß. Wenn Isabella einen militärischen Sieg erringt, feiert sie das elf Tage lang mit Psalmen und dem schlichten Wohllaut priesterlicher Gesänge. Kolumbus dagegen lärmt vor dem Dom herum und schwenkt einen Weinschlauch. Eine Einmannorgie, sozusagen.
    Seht ihn euch an, den Trunkenbold, dessen riesiger, zottiger Kopf mit Unsinn gefüllt ist! Ein Tor, der mit glänzenden Augen Träumen von einem goldenen Paradies hinter dem westlichen Ende der Welt nachhängt.
     
    «Erfüllung.»
     
    Die Königin spielt mit Kolumbus.
    Beim Mittagessen verspricht sie ihm,

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