Osten, Westen
akzeptieren. Auch das wäre eine Niederlage. Also bleibt er, unsichtbar in grellen Tropenfarben, unbelohnt, folgt ihren Spuren und hofft auf die Ekstase eines einzigen Blickes von ihr.
«Die Suche nach Geld und Protektion», sinniert Kolumbus, «unterscheidet sich kaum von der Suche nach Liebe.»
Sie ist allmächtig. Kastelle fallen ihr in den Schoß. Die Juden sind aus dem Land vertrieben. Die Mauren treffen Vorbereitungen für ihre letzte Kapitulation. Die Königin weilt in Granada und reitet an der Spitze ihrer Armee.
Sie überwältigt alles und jeden. Nichts, was sie wollte, ist ihr jemals verweigert worden.
All ihre Träume sind Weissagungen.
Gestützt auf Informationen, die sie im Schlaf erhält, erarbeitet sie ihre unfehlbaren Schlachtpläne, vereitelt sie Verschwörungen von Attentätern und erfährt von Verrat und Korruption, worauf sie sowohl die Loyalisten erpresst (um sich ihrer Unterstützung zu versichern) als auch ihre Gegner (um sich vor der ihren zu schützen). Die Träume versetzen sie in die Lage, das Wetter vorauszusagen, Verträge auszuhandeln und äußerst geschickt im Handel zu investieren.
Sie frisst wie ein Ross und nimmt niemals auch nur ein einziges Gramm zu.
Die Erde verehrt den Schritt ihrer Füße. Vor dem Glanz ihrer Augen fliehen die Schatten.
Ihr Gesicht ist eine üppige Halbinsel im Meer ihrer Haare.
Ihre Schatztruhen sind unerschöpflich.
Ihre Ohren sind sanfte Fragezeichen, die einige Unsicherheit verraten.
Ihre Beine.
Ihre Beine sind nicht so großartig.
Sie ist immer unzufrieden.
Keine Eroberung stellt sie zufrieden, kein Höhepunkt der Ekstase ist hoch genug.
Seht nur: Dort, vor den Toren der Alhambra, steht Boabdil der Unglückliche, der letzte Sultan der letzten Festung des all die Jahrhunderte währenden arabischen Spanien. Seht ihr: Jetzt eben übergibt er ihr den Schlüssel zur Zitadelle ... so! Und während der schwere Schlüssel von seiner Hand in die ihre gleitet, da ... da ... gähnt sie.
Kolumbus gibt jegliche Hoffnung auf.
Während Isabella in gelangweiltem Triumph die Alhambra betritt, sattelt er sein Maultier. Während sie sich im Löwenhof ergeht, entflieht er in einem Gerten-Ellbogen-Hufe-Wirbel, der schon bald in einer Staubwolke verschwindet.
Die Unsichtbarkeit verfolgt ihn. Und er liefert sich ihr aus. In dem Bewusstsein, seine Bestimmung aufzugeben, gibt er sie auf. Reitet in hoffnungsverlorenem Zorn weit weg von Königin Isabella, reitet Tag und Nacht, und als sein Maultier unter ihm verendet, schultert er seine lächerlichen, zigeunerflickenbunten Satteltaschen, deren aufdringliche Farben inzwischen der Staub dämpft; und schreitet fürbass.
Um ihn herum erstreckt sich die blühende Ebene, die ihre Heere unterworfen haben. Kolumbus hat keinen Blick dafür, weder für die Fruchtbarkeit des Landes noch für die überraschende Trostlosigkeit der eroberten Burgen, die von den Berggipfeln herabblicken. Die Geister besiegter Kulturen treiben unbemerkt die Flüsse hinab, deren Namen – Guadaldies und Guadaldas – ein Echo der vernichteten Vergangenheit sind.
Über seinem Kopf ziehen Raubvögel geduldig ihre arabeskengleichen Kreise.
In langen Kolonnen ziehen Juden an Kolumbus vorbei, doch ihre Tragödie, die Vertreibung, macht keinen Eindruck auf ihn. Irgendjemand will ihm einen Degen aus Toledostahl verkaufen; er scheucht den Mann davon. Nachdem sein Traum von den Schiffen gescheitert ist, überlässt Kolumbus die Juden den Schiffen ihrer Exilierung, die wartend im Hafen von Cádiz liegen. Erschöpfung raubt ihm den Verstand. Die alte Welt ist zu alt, und die neue Welt ist ein unentdecktes Land.
«Der Verlust von Geld und Protektion», sagt sich Kolumbus,«ist so bitter wie unerwiderte Liebe.»
Er wandert dahin, lässt die Müdigkeit hinter sich, wandert über die Grenze seiner Widerstandsfähigkeit und die Schranken seines Ichs hinaus und verliert irgendwo auf diesem Weg das Gleichgewicht; er kippt über den Rand seines Verstandes, und dort draußen, jenseits der Linie der Vernunft, hat er zum ersten und zum einzigen Mal in seinem Leben eine Vision.
Es ist der Traum von einem Traum.
Er träumt von Isabella, die lustlos die Alhambra erkundet, jenes monumentale Juwel, das sie Boabdil, dem letzten der Nasriden, entrissen hat.
Sie starrt in eine große Steinschale, die von steinernen Löwen getragen wird. Die Schale ist mit Blut gefüllt, und darin sieht sie – das heißt, Kolumbus träumt, dass sie es
Weitere Kostenlose Bücher