Osten, Westen
all seine Wünsche zu erfüllen; ein wenig später am Nachmittag schneidet sie ihn, sieht durch ihn hindurch, als wäre er ein Schleier.
An seinem Namenstag befiehlt sie ihn zu sich in ihr Boudoir, entlässt ihre Hofdamen, erlaubt ihm, ihr das Haar zu flechten und – einen flüchtigen Augenblick – ihre Brüste zu liebkosen. Dann ruft sie ihre Wachen. Für vierzig Tage verbannt sie ihn in die Pferde- und Schweineställe. Verzweifelt hockt er auf dem Heu, an dem die Pferde rupfen, während seine Gedanken fernem, sagenhaftem Gold nachjagen. Er träumt von den Duftwässern der Königin, erwacht aber, würgend vor Ekel, in einem Schweinekoben.
Mit Kolumbus zu spielen macht der Königin Freude.
Und der Königin Freude zu machen, so sagt er sich, könnte
ihm helfen, sein Ziel zu erreichen. Schweine wühlen zu seinen Füßen. Er knirscht mit den Zähnen.
«Der Königin Freude zu machen ist gut.»
Kolumbus denkt nach:
Quält sie ihn nur zum Spaß?
Oder: weil er ein Ausländer ist und seine Art wie sein Verhalten ihr fremd sind?
Oder: weil ihr Ringfinger, noch immer heiß von der Erinnerung an seine Lippen, von seinem Atem – wie sagt man – berührt worden ist? Jawohl: Fangarme der Wärme winden sich von ihren Fingern unter der Haut bis zum Herzen. Ein Aufruhr wurde entfacht.
Oder: weil sie hin- und hergerissen ist zwischen der Möglichkeit, sich seinen Plan mit der Hingabe einer Verliebten zu eigen zu machen, und der eher konventionellen und auf eine andere (boshafte) Art erfreulichen Alternative, ihn zu vernichten, indem sie ihm letztlich, nach langem Vorspiel, ins törichte, flehende Antlitz lacht.
Kolumbus tröstet sich mit Möglichkeiten. Doch nicht alle Möglichkeiten sind tröstlich.
Sie ist eine absolute Herrscherin. (Ihr Ehemann ist eine absolute Null: Ein Nichts könnte nicht unwesentlicher sein. Wir werden ihn fürderhin nicht mehr erwähnen.) Sie ist eine Frau, deren Ring häufig geküsst wird. Es bedeutet ihr nichts. Schmeicheleien sind ihr nicht fremd. Sie vermag ihnen mühelos zu widerstehen.
Sie ist eine Tyrannin, zu deren Besitztümern eine private Menagerie von vierhundertundneunzehn Narren gehört, einige davon grotesk missgebildet, andere schön wie die Morgenröte. Er, Kolumbus, ist nichts weiter als ihr vierhundertundzwanzigster Idiot. Auch das ist ein plausibles Szenarium.
Entweder: Sie versteht seinen Traum von einer Welt hinter dem Ende der Welt und ist von ihm berührt, so tief sogar, dass der Traum sie verfolgt und sie sich ihm anfangs zu- und dann wieder abwendet.
Oder: Sie begreift überhaupt nichts und will auch nichts begreifen.
«Sucht Euch etwas aus!»
Sicher ist jedenfalls, er versteht sie nicht. Einzig die Tatsachen sind klar. Sie ist Isabella, die alles erobernde Königin. Und er ist ihr unsichtbarer (obwohl lärmender, kunterbunter, weinsaufender) Gefolgsmann.
«Erfüllung.»
Die sexuellen Begierden des Mannes nehmen ab; jene des Weibes nehmen mit dem Fortschreiten der Jahre zu. Isabella ist Kolumbus’ letzte Hoffnung. Ihm gehen die potenziellen Gönner aus, die Verkaufsargumente, die Galanterien, die Haare, der Dampf.
Die Zeit schleppt sich dahin.
Isabella galoppiert in der Gegend herum, gewinnt Schlachten, vertreibt Mauren aus ihren Festungen, und ihr Hunger wächst von Woche zu Woche. Je mehr Land sie verschlingt, je mehr Krieger sie vertilgt, desto größer wird ihr Appetit. Kolumbus, der sich des langsamen Schrumpfprozesses in seinem Inneren bewusst ist, macht sich Vorwürfe. Er sollte die Dinge so sehen, wie sie sind. Er sollte endlich zur Vernunft kommen. Welche Chancen hat er denn hier? Manchmal befiehlt sie ihm, Latrinen auszuleeren. Dann wieder wird er zum Körperwaschdienst befohlen, und nach einer Schlacht sind die Körper alles andere als sauber. Wenn die Soldaten in den Kampf ziehen, tragen sie Windeln in Erwachsenengröße unter der Rüstung, denn in der Todesangst öffnet sich
der Schließmuskel, und zwar jedes Mal. Für diese Art Arbeit ist Kolumbus nicht geschaffen. Er nimmt sich vor, Isabella zu verlassen – endgültig.
Aber es gibt Probleme: sein fortschreitendes Alter, den Mangel an Mäzenen. Bricht er seine Zelte hier ab, kann er die Reise gen Westen vergessen.
Die philosophische Schule, die behauptet, das Leben sei absurd, hat ihm noch nie so recht gefallen. Er ist ein Mann der Tat, den man an seinen Taten erkennen soll. Doch ohne diese Reise gen Westen wird er sich gezwungen sehen, die Sinnlosigkeit des Lebens zu
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