Osten, Westen
fuhr los. Wie verabredet, absolvierte er die «chemische Reinigung»; zweimal umrundete er einen Kreisel, überfuhr rote Ampeln, bog absichtlich falsch ab, stoppte und kehrte um, bog so oft wie möglich richtig ab, um zu sehen, ob ihm jemand im Verkehrsgewühl folgte, und ahmte auf der Autostraße Zulus Fahrtechnik nach. Als er weitgehend sicher war, dass er keine Verfolger hatte, steuerte er den Treffpunkt an. Len Deighton würde Augen machen, dachte er, und le Carré dazulernen.
Er bog von der Autostraße ab und hielt auf einem Rastplatz. Ein Mann trat unter den Bäumen hervor. Er wirkte geschniegelt und gebügelt. Es war Zulu.
Chekov sprang aus dem Wagen, umarmte den Freund und küsste ihn auf beide Wangen. Zulus struppiger Schnauzbart kratzte auf seinen Lippen. «Ich dachte, du hättest vielleicht einen Arm verloren oder eine Schusswunde, aus der das Blut strömt, oder wenigstens ein blaues Auge», sagte er. «Stattdessen kreuzt du hier auf wie fürs Theater angezogen, fehlen nur noch Operncape und Spazierstöckchen.»
«Auftrag ausgeführt», sagte Zulu und klopfte auf seine Brusttasche. «Alles da drin, und einwandfrei.»
«Und was sollte dann dieser bakvaas mit ‹Alarmstufe Rot›?»
«Das Szenario für den Extremfall», antwortete Zulu. «Tritt nicht unbedingt immer ein.»
Im Wagen überflog Chekov Namen, Orte und Daten aus Zulus braunem Kuvert. Die Informationen waren besser, als er es jemals erwartet hätte. Von diesem anonymen Rastplatz in den Midlands fiel das Licht bis auf bestimmte abgelegene Dörfer und Großstadtschlupfwinkel im Punjab. Dort würde es Razzien und, jedenfalls für gewisse Oberschurken, keinerlei Schatten mehr geben, in den man sich verkriechen konnte.
Er stieß einen leisen, bewundernden Pfiff aus.
Zulu, auf dem Beifahrersitz, senkte den Kopf. «Fahr lieber los», mahnte er. «Fordere das Schicksal nicht heraus!»
Durch die Mittel-Erde fuhren sie nach Süden.
Kurz nachdem sie von der Autostraße abgebogen waren, sagte Zulu: «Übrigens, ich höre auf.»
Chekov hielt den Wagen an. Durch eine Lücke in der Häuserzeile links waren die beiden Türme des Wembley-Stadions zu sehen.
«Was soll das heißen? Haben dich die Extremisten etwa umgedreht oder was?»
«Chekov, ji, stell dich doch nicht dumm! Werbraucht heute noch Extremisten, wenn in Delhi gemordet wird? Hunderte, vielleicht Tausende von Sikh-Männern vor den Augen ihrer Familien skalpiert und lebendig verbrannt. Sogar Halbwüchsige. »
«Das wissen wir.»
«Dann, ji, wissen wir auch, wer dahintersteckt.»
«Es gibt nicht den geringsten Beweis», zitierte Chekov die offiziellen Verlautbarungen.
«Es gibt Augenzeugen und Fotos», widersprach Zulu. «Das wissen wir.»
«Es gibt Leute», sagte Chekov bedächtig, «die nach der Sache mit Indira ji der Meinung sind, dass die Sikhs nichts anderes verdienen.»
Zulu erstarrte.
«Ich hoffe, du kennst mich besser», sagte Chekov. «Um alles in der Welt, Zulu, jetzt hör mal zu! Wir beide, unser ganzes verfluchtes Leben lang!»
«Kein Kongressmitglied wurde angeklagt», sagte Zulu. «Trotz vieler Beweise für eine Mitschuld. Deswegen höre ich auf. Und du solltest ebenfalls aufhören.»
«Wenn du ein so verdammter Radikalinski geworden bist», rief Chekov empört, «warum gibst du mir dann überhaupt diese Liste? Warum machst du nicht gleich reinen Tisch?»
«Ich bin ein Sicherheitsdienst- wallah », entgegnete Zulu und öffnete die Wagentür. «Terroristen aller Art sind meine Gegner. Unter gewissen Umständen aber anscheinend nicht die deinen.»
«Steig ein, Zulu, verdammt nochmal!», rief Chekov. «Ist dir deine Karriere denn völlig egal? Denk an deine Frau und die vier Kinderchen! Und was ist mit deinen alten Kumpels? Willst du auch mir den Rücken kehren?»
Aber Zulu war schon viel zu weit entfernt.
Chekov und Zulu sahen sich nie wieder. Zulu ließ sich in Bombay nieder, und so, wie in dieser geldreichen Boomtown der Bedarf an wirksamem Schutz auf dem Privatsektor wuchs, wuchsen und gediehen auch seine beiden Firmen Zulu Shield und Zulu Spear. Seine Frau schenkte ihm noch drei Kinder, ebenfalls Jungen, und so ist er bis heute ein glücklicher Ehemann.
Was Chekov betrifft, so hat er niemals geheiratet. Trotz dieses Handicaps war ihm jedoch ein relativ guter Erfolg in seinem Beruf beschieden, und er stieg weiter auf der Karriereleiter nach oben. Eines Tages im Mai 1991 gehörte er jedoch zufällig zum Gefolge von Mr. Rajiv Gandhi, das diesen in das
Weitere Kostenlose Bücher