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Osten, Westen

Osten, Westen

Titel: Osten, Westen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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südindische Dorf Sriperumbudur begleitete, wo Rajiv auf einer Wahlversammlung eine Rede halten sollte. Die Sicherheitsvorkehrungen waren lasch, aus gutem Grund. Denn bei der vorangegangenen Wahl hatte Rajiv das Gefühl gehabt, die Maßnahmen zu seiner Sicherheit hätten eine Barriere zwischen ihm und seinem Wahlvolk errichtet. Daher, ordnete er an, müsse den Wählern diesmal das Gefühl vermittelt werden, ihm körperlich nahe zu sein.
    Nach den Ansprachen verließ die Gruppe um Rajiv das Podium. Chekov, der nur wenige Schritte hinter Rajiv ging, sah plötzlich eine kleine Tamilin vortreten. Lächelnd reichte sie Rajiv die Hand, ließ sie aber nicht mehr los. Chekov begriff, warum sie lächelte, und dieses Wissen war so mächtig, dass es die Zeit für ihn stillstehen ließ.
    Da die Zeit stillstand, vermochte Chekov einige ganz persönliche Überlegungen anzustellen: Diese Tamilen-Revolutionäre kommen nicht aus England, stellte er fest. Also haben wir endlich gelernt, die Waren in der Heimat zu produzieren, und müssen nicht mehr importieren. Bang! Weg mit der alten Dinnerparty-Gesprächskrücke, sozusagen. Und schließlich, ein bisschen weniger ironisch: Die Tragödie ist nicht, wie man stirbt, dachte er, sondern, wie man gelebt hat.
     
    Die Szene um ihn herum verschwand, löste sich auf in einer Ansammlung von Licht und wurde ersetzt durch die Brücke des Raumschiffs «Enterprise». Alle Hauptfiguren waren an ihren angestammten Plätzen. Zulu saß vorn direkt neben Chekov. «Schutzschilde nicht funktionsfähig», meldete Zulu.
Auf dem Hauptschirm sah man, wie sich das Klingonenschiff enttarnte, um sich zum Feuern bereitzumachen.
    «Ein Volltreffer, und wir sind geliefert», rief Dr. McCoy «Um Himmels willen, Jim, bring uns hier raus.»
    «Unlogisch», widersprach Spock. «Der Verlust unseres Dilithium-Kristall-Antriebs bedeutet, dass uns Warp-Geschwindigkeit nicht zur Verfügung steht. Unsere Chance, nur mit Impulskraft den Klingonen zu entkommen, ist praktisch null. Der einzige logische Schritt ist die bedingungslose Kapitulation.»
    «Sich einem Klingonen ergeben?», rief McCoy empört. «Sie verdammte, kaltblütige, spitzohrige Rechenmaschine, Sie wissen doch, wie die ihre Gefangenen behandeln!»
    «Phaserkanonen leer», meldete Zulu. «Angriffskapazität gleich null.»
    «Soll ich versuchen, mit dem Kommandanten der Klingonen Kontakt aufzunehmen, Sir?», fragte Chekov. «Die können jede Sekunde losfeuern.»
    «Danke, Mr. Chekov», antwortete Captain Kirk. «Ich fürchte, das wird nicht mehr notwendig sein. Diesmal ist der Extremfall wohl das, womit wir uns jetzt abfinden müssen. Halten Sie die Position! Und los geht’s!»
    «Die Klingonen feuern, Sir», meldete Zulu ruhig.
    Chekov ergriff Zulus Hand und hielt sie triumphierend fest, während die tödlichen Lichtkugeln in rasendem Tempo auf sie zukamen.

Der Courter
    1
     
    Certainly-Mary war, von Zwergen abgesehen, die kleinste Frau, der der Portier Mixed-Up jemals begegnet war: eine winzige, sechzigjährige indische Dame mit angegrautem Haar, das sie im Nacken zu einem ordentlichen Knoten aufgesteckt hatte, und die nun ihren rot eingefassten weißen Sari vorn ein wenig schürzte, um die Vortreppe des Wohnblocks zu erklimmen, als wären es die Alpen. «Aber nein», sagte er laut mit gerunzelter Stirn. Welches wären wohl die richtigen Berggipfel? Ah ja, so hießen sie: «Ghats», sagte er stolz. Ein Wort aus dem Schulatlas längst vergangener Zeiten, da man das Gefühl hatte, Indien liege so weit entfernt wie das Paradies. (Heute schien das Paradies in noch größerer Ferne zu liegen, während Indien – und die Hölle – ein bisschen näher gerückt waren.) «West-Ghats, Ost-Ghats, und nun also Kensington-Ghats», sagte er kichernd. «Gebirge.»
    In der eichengetäfelten Halle blieb sie direkt vor ihm stehen. «Aber ghats sind in Indien auch Treppen», erklärte sie. «O ja, natürlich. Zum Beispiel in Varanasi, der heiligen Stadt der Hindus, wo die Brahmanen sitzen und das Geld der Filger nehmen, heißt Dasashwamedh- ghat. Breite, breite Treppe zum Ganga-Fluss hinunter. O ja, aber natürlich! Außerdem
Manikarnika- ghat. Man kauft Feuer in einem Haus mit einem Tiger, der vom Dach springt – o ja, natürlich, eine Tigerstatue, bunt von Technicolor, was dachten Sie denn? –, und man holt es sich in einer Schachtel, um die lieben Verstorbenen in Brand zu setzen. Totenfeuer sind aus Sandelholz. Fotografieren nicht gestattet; o nein, natürlich

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