Osten, Westen
spionieren wollte oder sie ausradierte oder so. Sein Vorname begann ebenfalls mit einem M, war aber so voller kommunistischer Konsonanten, wie wir sie bezeichneten – all diese Zs und Cs und Ws ohne Vokale zum Luftholen dazwischen –, dass ich nie ernsthaft versucht habe, ihn auswendig zu lernen.
Anfangs erwogen wir, ihn nach einer boshaften kleinen Comic-Book-Figur Mr. Mxyztplk aus der fünften Dimension zu nennen; der sah ein bisschen so aus wie Elmer Fudd und machte Superman das Leben schwer, bis der alte Supe ihn dazu verführte, seinen Namen rückwärts zu buchstabieren, Klptzyxm, woraufhin er blitzartig wieder in die fünfte Dimension entschwand. Doch weil wir nicht ganz sicher waren, wie man Mxyztplk aussprach (ganz zu schweigen von Klptzyxm), ließen wir diese Idee wieder fallen. «Wir nennen Sie ganz einfach Mixed-Up, Durcheinander», erklärte ich ihm schließlich, um uns das Leben leichter zu machen. «Mischter Miksched-Up Mischirsch.» Damals war ich gerade fünfzehn und platzte vor überschüssiger Sexenergie, was bedeutete, dass ich den Leuten derartige Dinge mitten ins Gesicht sagen konnte, sogar Leuten, die weniger duldsam waren als Mr. Mecir mit seinem Schlaganfall.
Besonders lebhaft erinnere ich mich an seine roten Gummihandschuhe, die er niemals abzulegen schien, wenigstens nicht, bevor er begann, Certainly-Mary seine Besuche abzustatten ... Wie dem auch sei, als ich ihn solchermaßen beleidigte, während meine Schwestern Durré und Muneeza im Fahrstuhl kicherten, zeigte Mecir nur sein leeres, gutmütiges Lächeln, nickte –«Ihr könnt mich nennen, wie ihr wollt, okay» – und fuhr fort, das Messing zu putzen und zu polieren. Da es überhaupt keinen Sinn hatte, ihn aufzuziehen, wenn er sich so verhielt, stieg ich ebenfalls in den Fahrstuhl. Während der ganzen Fahrt zum vierten Stock sangen wir alle drei aus vollem Hals und mit unserer schönsten Ray-Charles-Stimme «I Can’t Stop Loving You», und das klang wahrhaft schauerlich. Doch da wir unsere Sonnenbrillen trugen, spielte das weiter keine Rolle.
4
Es war der Sommer 1962, und die Schule war zu Ende. Meine kleine Schwester Scheherazade war gerade ein Jahr alt. Durré war hochtoupierte vierzehn; Muneeza war zehn und bereits eine ganz schöne Nervensäge. Wir drei Älteren – oder vielmehr Durré und ich, denn Muneeza versuchte verzweifelt, aber erfolglos, in unsere Bande aufgenommen zu werden – standen an Scheherazades Kinderbettchen und sangen ihr etwas vor. «Keine Kinderlieder!», hatte Durré bestimmt, also gab es auch keine, denn obwohl sie in der Schule eine Klasse unter mir saß, war sie die geborene Rädelsführerin. Die Wiegenlieder für die kleine Scheherazade waren unsere ganz persönlichen Versionen der neuesten Hits von Chubby Checker, Neil Sedaka, Elvis und Pat Boone.
«Why don’tyou come home, Speedy Gonzales?», brüllten wir in schönster Disharmonie: vor allem aber, und das mit Verve, sprangen wir herum, drehten uns im Kreis und warfen mit einem Baumwollballen. Wir wären den ganzen Tag so herumgesprungen, hätten uns im Kreis gedreht und mit diesem Baumwollballen geworfen, wenn sich der Maharadscha B. in der Wohnung unter uns nicht beschwert hätte und Aya Mary daraufhin nicht gekommen wäre, um uns anzuflehen, doch endlich leise zu sein.
«He, seht mal, da ist Jambal-Aya, die sich in Mixed-Up verliebt hat!», schrie Durré, und Mary errötete in wahrhaft eindrucksvollem Rot. Also schickten wir prompt ein Me-oh-my-oh hinterher; «son of a gun, we had big fun!» Aber dann begann das Baby zu schreien, mein Vater kam mit gesenktem Kopf wie ein Stier hereingeschossen, blies Dampf aus beiden Ohren, und wir brauchten sämtliche Glücksbringer, deren wir habhaft werden konnten.
Nachdem ich etwa ein Jahr in England das Internat besucht hatte, entschloss sich Abba, mit der Familie nachzukommen. Wie all seine Entscheidungen wurde auch diese weder erklärt noch mit irgendjemandem besprochen, nicht einmal mit meiner Mutter. Als sie ankamen, mietete er zwei benachbarte Wohnungen in einem schäbigen Bayswater-Mietblock, genannt Graham Court, in einem Nichts von Straße versteckt, die sich neben dem ABC-Queensway-Kino in Richtung der Porchester-Bäder dahinzog. Eine dieser beiden Wohnungen beanspruchte er für sich allein, in die andere steckte er meine Mutter, meine drei Schwestern, die Aya und – während der Schulferien – auch noch mich. Da England, wo der Alkohol frei verkauft wurde,
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