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Ostfriesengrab

Ostfriesengrab

Titel: Ostfriesengrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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krachte mit dem Rücken gegen die Eingangstür. Für wenige Sekunden verlor er van der Waals Waffe. Er griff danach und richtete sie sofort wieder auf Weller, dann raffte er sich auf und schob Birgitta vor sich durch die Eingangstür.
    Weller zog seine Dienstwaffe, die er hier gar nicht hätte bei sich tragen dürfen, und donnerte: »Stehen bleiben, Meuling! Hände hoch!«
    Ohne sich umzudrehen, rief Meuling: »Leck mich am Arsch!«
    Birgitta verlor ihren rechten Schuh. Meuling stieß sie weiter vorwärts. Weller folgte ihnen auf die Straße.
    Meuling drehte sich nach Weller um. Er richtete die Mündung auf Wellers Kopf.
    Weller ließ sich auf die Knie fallen und feuerte.
    Später würde Weller behaupten, der dumpfe Knall des Schusses habe nicht nur seine Ohren betäubt, sondern auch seinen Verstand. Aber jetzt glaubte er, ganz kalt und überlegt zu handeln,
als er ein zweites Mal abdrückte. Er vermutete, Meuling verfehlt zu haben, jedenfalls hatte er ihn nicht richtig erwischt, denn Meuling taumelte und hielt immer noch die Pistole in der Hand.
    Die dritte Kugel traf Meuling in die Brust und zerfetzte sein Herz.
     
    Zweifellos hatte Juist eine eigene Leiche verdient. Der Gedanke amüsierte ihn, dass die Juister sauer auf ihn sein könnten, weil sie in seiner spektakulären Mordserie nicht vorkamen. Würden sie sich fragen, ob die Schönheit ihrer Insel nicht ergreifend genug für eins seiner Kunstwerke war? In Wirklichkeit liebte er die Insel. Dennoch hatte er mit Juist Probleme. Erstens waren die Fähren tideabhängig. Aber selbst wenn er das logistische Problem hätte lösen können, das neue Seezeichen von Juist fand er lächerlich. Es sollte wahrscheinlich aussehen wie ein Segel, erinnerte ihn aber an das Hotel Burj al Arab in Dubai. Das einzige 7 -Sterne-Hotel der Welt, für 1 , 2 Milliarden Dollar gebaut, 321 Meter hoch. Für ihn war es ein widerliches Zeichen von Dekadenz und Geschmacklosigkeit. Er hatte es gemalt. Auf seinem Bild versank das Hotel im Meer und obendrauf wehte eine Flagge, auf der stand: Wir sind reich und scheißen auf die Armen.
    Das neue Möchtegernwahrzeichen von Juist war mit seinen 16 , 5 Metern lange nicht so protzig, aber es beleidigte sein ästhetisches Gefühl trotzdem. Wenn er es nicht mit dem Hotel in Dubai verglich, in dem die billigste Übernachtung angeblich 2000  Euro kostete, dann sah es für ihn aus wie ein Schiff, das bereits zum größten Teil im Meer versunken war und nur noch seine Spitze ragte heraus.
    Eigentlich war es ein idealer Ort, um dort eine blonde Schönheit abzufackeln. Das Ganze würde die Menschen an eine Art Hexenverbrennung erinnern. Der Gedanke gefiel ihm nicht,
denn er verbrannte keine Hexe, sondern einen Engel. Es sollte ein Leuchtfeuer werden in der Nacht, von gruseliger Schönheit, wie die Bilder von Hieronymus Bosch. Wie lange hatte er sich von dessen Phantasiewelten beeinflussen lassen? Er hatte ihn so lange bewundert und verehrt, dass es schwierig war, einen eigenen Weg zu gehen, statt den Meister einfach nachzuahmen. Gegen seinen Realismus würden die höllischen Visionen von Hieronymus Bosch sich einst ausmachen wie naive Malerei.
    So wie Hieronymus Bosch das Chaos des ausklingenden Mittelalters darstellte und damit die Neuzeit einläutete, so würde er einst als Künstler der Zeitenwende begriffen werden. Einer, der sensibel wie ein Seismograph auffing, was in der Gesellschaft los war, ihr das eigene Spiegelbild vor Augen hielt und eine neue Zeit begrüßte. So wie die Menschen nur noch mit Spott und Abscheu an das Mittelalter dachten, so würden sie eines Tages auf uns gucken. Wenn der bunte Kitsch, der heute in den Museen hing, nur noch zum Grinsen war, dann war seine große Zeit gekommen. Einst würden Touristenbusse herumfahren und Kunststudenten kämen herbei, um die Magie der Orte zu spüren, an denen er seine Kunsthappenings hatte geschehen lassen. Er verkaufte keine Eintrittskarten. Er brauchte keinen Beifall. Er war dann unabhängig von jeder Kritik. Er musste dann nicht mehr nach Einschaltquoten schielen, nahm an keinen Talkshows teil. Er lebte sein Leben nur für die Kunst. Er hatte die Kunst zur Religion erklärt und sich selbst zum Hohepriester.
    Er spürte, dass er jetzt schon mehr Jünger hatte als die Kunstakademie in Münster Studenten. Vor fast zwanzig Jahren hatten sie ihn dort wegen Talentlosigkeit abgelehnt. Bald schon wären sie stolz, sich nach ihm benennen zu dürfen.
    Nein, dieses hässliche Segel vor Juist würde er

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