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Ostfriesengrab

Ostfriesengrab

Titel: Ostfriesengrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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nicht mit seiner Kunst adeln. Ein Leuchtturm schien ihm da passender zu sein. So wie er einst als Leuchtturm gesehen werden würde. Ein Licht in der dunklen Nacht. Eine Orientierungshilfe für die, die sich
ohne Kompass in der Nacht draußen auf dem tobenden Meer verirrt hatten.
    Der Gedanke gefiel ihm.
     
    Wellers Kindheit kam ihm vor wie ein dunkles Moor, und jetzt schien er langsam darin zu versinken. Die schlimmsten Prophezeiungen seines Vaters waren Wirklichkeit geworden. Er hatte etwas Böses in sich, das durch strenge Regeln im Zaum gehalten werden musste. Dieses wilde Tier, das plötzlich die Beherrschung verlor, gegen alle Regeln und Gesetze verstieß, konnte schlimme Dinge tun. Es brachte ihn, den Fischfan, dazu, freitags, wenn Mutter Bratheringe oder Forellen auftischte, heimlich zur Imbissstube zu laufen und eine Currywurst runterzuschlingen.
    Er zog den Kopf ein und hob die Schultern hoch. Verkrampft saß er da, als würde er jeden Moment erwarten, von hinten Nackenschläge zu erhalten. Das Strafgericht seines inzwischen toten Vaters war vernichtend.
    Er hatte alles ruiniert. Seine Ehe. Seinen Beruf. Und jetzt hatte er sogar ein Menschenleben auf dem Gewissen.
    Ann Kathrin konnte es kaum ertragen, ihn so verzweifelt da sitzen zu sehen. Sie wollte ihm etwas Gutes tun, ihm irgendetwas anbieten. Sein geliebter Espresso kam ihr jetzt irgendwie falsch vor. Stattdessen kochte sie ihm einen Pfefferminztee.
    Er trank ihn mit kleinen Schlückchen, ohne ihn zu schmecken, mehr aus Pflichtbewusstsein.
    »Ich bin erledigt«, sagte er und sah vor sich auf die Steinfliesen.
    Sie bestand darauf, er habe in Notwehr gehandelt, doch er schüttelte den Kopf. »Nein, das habe ich nicht.«
    »Frank, erzähl nicht so einen Mist. Die Aussagen der holländischen Kollegen sind astrein. Sie sprechen dich hundertprozentig frei. Meuling hat gemerkt, dass er abgehört wurde. Er
versuchte, über die Toilette zu fliehen. Van der Waal wollte ihn aufhalten. Meuling hat ihm ein Steakmesser in die Brust geschlagen. Van der Waal schwebt noch in Lebensgefahr. Meuling hat geschossen und auf dich gezielt, und du … warst einfach nur schneller. Zum Glück!«
    Weller blickte sie ungläubig an. Seine Haare standen wirr ab, aber er sah nicht so süß und strubbelig aus wie manchmal morgens, wenn er wach wurde, sondern er wirkte wie ein Junkie auf Turkey, der dringend einen neuen Schuss brauchte, weil er aus dem Methadonprogramm gefallen war.
    »Ich wollte ihn töten. Ich wollte es schon in der Küche. Ich konnte sein Geschwätz nicht mehr aushalten. Ich … «
    Sie kniete sich vor ihn hin und sah ihm von unten in die Augen. Sie wollte ihm nicht gestatten, dem Blickkontakt auszuweichen. Sie schüttelte ihn. »Frank! Das darfst du nicht sagen! Niemals! Du darfst es nicht einmal denken. Du hast auf den Arm gezielt. Auf die Schulter. Er ist dann gestolpert, und du hast sein Herz getroffen. So gesehen war es ein Unfall. Die Kollegen haben das sehr korrekt dargestellt. Du fällst dir und deinen eigenen Leuten in den Rücken, wenn du so etwas sagst.«
    Eine Weile schwieg er verbissen. Seine Gesichtsmuskeln arbeiteten. Dann stand er abrupt auf. Fast hätte er Ann Kathrin umgestoßen. »Ich konnte seine Reden nicht mehr ertragen. Es war ganz fürchterlich. Seine Worte tropften in mich hinein wie Gift.«
    »Was hat er denn gesagt?«
    »Er hat sie zugesülzt, das Schwein. Er hat sie gegen ihren Ex aufgehetzt und auf dessen Kosten sich selbst erhöht, verstehst du? Er sprach wie ein verlogener pädophiler Pastor, der Nächstenliebe predigt und Jugendarbeit sagt, aber Sex mit Kindern meint. Ich hatte so sehr gehofft, sie würde es merken, ihn anschreien, ihn ohrfeigen, aber nein, nein. Seine Masche funktionierte. Sie ist voll drauf reingefallen.«
    Ann Kathrin näherte sich Weller vorsichtig von hinten. Sie legte die rechte Hand in seinen Rücken. Er ließ es geschehen.
    »Ich kann mir vorstellen, dass dich das wütend gemacht hat, Frank. Aber deswegen bringst du doch keinen Menschen um.«
    Es platzte aus ihm heraus wie Dampfwasser aus einem heißen Kessel, der unter zu großem Druck steht. Speichelblasen lösten sich von seinen Lippen. »Ich hab diese Frau gar nicht gesehen, weißt du. Sie wurde für mich immer mehr zu Renate. Ich hab mir vorgestellt, dass er ihr das alles erzählt. Dass er mich zum Arsch macht. Dass er sie gegen mich aufhetzt und … «
    Weller redete weiter, aber seine Worte erreichten Ann Kathrin nicht mehr. Sie war getroffen. Es

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