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Ostfriesengrab

Ostfriesengrab

Titel: Ostfriesengrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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Eigeninteressen. Wer ist bereit, im Namen der Kunst zu sterben?«
     
    Ann Kathrin Klaasen fand den Gedanken, dass Heiner Zimmermann möglicherweise immer noch an ihrem Aktporträt malte, plötzlich unerträglich. Sie konnte überhaupt nicht mehr verstehen, wie sie auf diese Schnapsidee gekommen war. Warum sollte sie sich ausgerechnet von Frank Wellers Schulfreund nackt malen lassen, um Frank das Bild dann zum Geburtstag zu schenken?
    Welcher Teufel hat mich da geritten, fragte sie sich. Wie konnte Zimmermann mich so einlullen? War ich nicht mehr zurechnungsfähig?
    Vielleicht waren es die Bilder von Professor Diebold, die diese Zweifel in ihr ausgelöst hatten. Sie hatte in der Nacht grässlich geträumt. Heiner Zimmermann hatte das Bild ohne ihr Zutun beendet. Weller war zu seiner Renate zurückgegangen und lebte mit ihr und den Töchtern wieder ein glückliches Familienleben. Natürlich wollte Renate nicht das Bild ihrer Konkurrentin im Schlafzimmer hängen haben, und so wurde es schließlich bei einer Feier in der Polizeiinspektion Aurich versteigert. Es war Ubbo Heides Abschied. Sie sollte Ubbos Nachfolgerin werden, und Rupert versteigerte nun, lässig mit einem Oberarm auf das Ölgemälde gestützt, das Bild und riss ein paar Zoten auf Ann
Kathrins Kosten. Er wisse auch nicht, warum sie da aus dem Sarg steige. Wahrscheinlich sei das eine ihm bisher unbekannte Sadomaso-Technik oder irgendetwas Nekrophiles. Er hätte das Bild ganz anders gemalt. Ann Kathrin als wilde Reiterin. Ein Sattel sei ihm lieber als ein Sarg.
    Dann plötzlich stand im Traum ihr toter Vater da, machte aber einen sehr lebendigen Eindruck und beendete die Versteigerung. Er sprang mit Rupert und den anderen um, als seien sie Grundschüler und er der gestrenge Lehrer, vor dem alle Respekt hatten.
    Sie war ihrem Vater einerseits dankbar, andererseits schämte sie sich vor ihm, aber noch im Traum wusste sie, dass alles ein Traum war, denn ihr Vater war tot, das wusste sie sogar im R EM -Schlaf. Der Traum kam ihr vor wie ein Weckruf.
    Jetzt stand sie vor Heiner Zimmermanns Haus in der Norddeicher Straße und klingelte. Er war zu Hause. Sie hörte Musik. Satisfaction von den Stones.
    Während sie versuchte, mit der Klingel die Stimme von Mick Jagger zu übertönen, geriet sie innerlich ins Wanken. War das hier jetzt völlig blöd von ihr? War das spießig? Würde sie sich später darüber ärgern? Warum hatte das plötzlich so eine große Bedeutung? Auf einmal wurde alles so monströs …
    Am liebsten wäre sie wieder gegangen, doch Heiner Zimmermann öffnete und lachte sie an. »Oh, mein Lieblingsmodell! Ich hoffe, diesmal wird uns kein Sondereinsatzkommando stören!«
    Sein Nikotinatem wehte ihr ins Gesicht. Er sah ihr sofort an, dass sie etwas Ernstes zu ihm führte, etwas, das ihr zutiefst unangenehm war. Er versuchte, es ihr leicht zu machen, indem er sie locker berührte und mit einer fast unterwürfigen Geste hereinbat. Er hatte etwas an sich, das Frauen in seiner Gegenwart das Gefühl gab, Königinnen zu sein. Es war sofort wieder da und entfaltete seine Wirkung.
    Sie sah die Bilder und Skulpturen. All die Frauen wirkten so
lebendig, dass Ann Kathrin sich schütteln musste. Es war, als könnten sie ihr zuhören, antworten, ja, gleich aus den Bildern herauskommen und sie berühren. Die Skulpturen wirkten, als könnten sie beweglich werden.
    Sie musste sich jetzt schon dagegen wehren, nicht seinem Charme zu erliegen und von ihrem eigentlichen Vorhaben Abstand zu nehmen. Es roch nach frischer Farbe. An seinen Händen und den aufgekrempelten Hemdsärmeln konnte sie unschwer ablesen, dass er im Moment arbeitete.
    Sie stellte sich vor, dass er gerade ihre Schenkel ausmalte oder mit kurzen Pinselstrichen den Locken in ihren Schamhaaren Schwung gab. Die Idee gefiel ihr überhaupt nicht.
    Während sie noch überlegte, wie sie beginnen sollte, eröffnete er das Gespräch: »Ihr habt eine neue Leiche … Die Medien sind ja voll davon.«
    »Hm … « Sie wollte gar nicht darauf eingehen. Sie war nicht gekommen, um den Fall mit ihm zu diskutieren.
    »Also, wenn du mich fragst, ich finde es unmöglich, wie der Diebold damit umgeht.«
    »Kennst du ihn?« Ann Kathrin ärgerte sich über ihre Frage. Sie ließ sich von ihrem eigentlichen Vorhaben abbringen. So war es oft mit ihm. Er lenkte die Gespräche in eine Richtung, die ihm lieb war.
    »Wer kennt ihn nicht? Eine ganz üble Figur der Kunstszene. Hat jede Menge Pöstchen und Ämter. Gegen ihn und seine

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