Ostfriesengrab
sich gerade aufzurichten.
Ann Kathrin stand auf. »Warte. Ich helfe dir.«
Ann Kathrin Klaasen lag in embryonaler Haltung, das dicke Kissen fest umklammert und gegen den Bauch gedrückt. Sie hielt
die Augen fest geschlossen. Zunächst erwachte ihr Geruchssinn. Weller brühte in der Küche Kaffee auf. Die frisch gemahlenen Arabica-Bohnen verströmten ihren Duft von der Küche bis ins Schlafzimmer. Dann hörte sie seine nackten Füße auf den italienischen Steinfliesen. Er kam näher. Gleichzeitig wurde der Kaffeeduft intensiver.
Ihr Herz schlug voller Vorfreude schneller. Er wird mir doch nicht etwa …
Sie blinzelte zur Tür. Tatsächlich. Er brachte ihr Kaffee ans Bett.
Auf dem Tablett stand noch ein Glas. War das etwa frisch gepresster Orangensaft? Und daneben auf dem Teller zwei Spiegeleier mit Krabben auf geröstetem Toast?
»Träume ich noch?«, fragte sie spielerisch und rieb sich die Augen, »oder bringt mir da gerade jemand ein Frühstück ans Bett?«
Der Mann ist ein Lottogewinn, dachte sie. In dem Moment klingelte das Telefon.
Weller schüttelte den Kopf und stellte das Tablett auf dem Bett ab. Aber schon hechtete Ann Kathrin aus dem Bett und war beim Telefon.
Hier in ihrem Haus im Distelkamp war es immer noch so, dass sie dranging, wenn sie gemeinsam da waren, und nicht Weller. Denn es war ihr Haus und nicht seins.
Rupert rief offensichtlich aus dem Büro an. Im Hintergrund tuckerte ein Faxgerät und sie hörte den Laserdrucker arbeiten. Sie sah auf die Uhr. Es war kurz vor Neun.
»Ich habe die ersten Laborergebnisse. Soll ich sie dir wörtlich vorlesen oder willst du die übersetzte Fassung?«
»Nun sag schon!«
Ann Kathrin bekam kalte Füße. Sie rieb ihren rechten Fuß gegen den linken und hoffte, dass Weller nicht sauer war. So wie sie ihn da sitzen sah, hatte es ihm schon einen gewissen Stich
versetzt, dass ihr das Telefon wichtiger war als sein Frühstück. Er hatte sich so viel Mühe gegeben, und nun …
Sie musste an ihren Sohn Eike denken. Wie oft hatte sie den stehen lassen und sich stattdessen der Arbeit gewidmet? Irgendeinem Fall, der keinen Aufschub erlaubte und natürlich in der augenblicklichen Situation wichtiger war als das Bild, das Eike für sie gemalt hatte oder seine Eins in Deutsch.
Im Laufe der Jahre musste der Junge so zu der Überzeugung gekommen sein, dass die Verbrecher seiner Mutter wichtiger waren als er. Kein Wunder, dachte sie, dass er zu Hero und seiner Geliebten gezogen ist, statt bei mir zu bleiben. An seiner Stelle hätte ich vermutlich genauso gehandelt.
In diesem Moment, da sie Weller enttäuscht neben dem Frühstückstablett auf dem Bett sitzen sah, begriff sie erst wirklich, was mit ihr und ihrem Sohn geschehen war. Sie konnte es auf der Haut spüren, und am liebsten hätte sie das Telefongespräch abgebrochen, um sofort zu Eike zu fahren. Sie musste ihn um Entschuldigung bitten und ihm sagen und zeigen, wie sehr sie ihn liebte. Gleichzeitig spürte sie, dass sie das alte Spiel jetzt wiederholte. Diesmal mit Weller.
Er musste sie verstehen. Er war ein erwachsener Mann. Er arbeitete am gleichen Fall wie sie. Auch er wollte den Mörder fangen.
»Also erst mal das Wichtigste: Die Haare der Toten kleben voller Haarspray und das Zeug haben die Jungs vom Labor auch an den Blüten rund um ihren Kopf herum gefunden. Das bedeutet … «
Ann Kathrin wachte jetzt erst richtig auf. »Er hat sie am Tatort frisiert«, sagte sie.
»Ja. Und zwar nachdem er sie aufgespießt hatte. Sozusagen als krönenden Abschluss seiner Arbeit. Weißt du, wie die Jungs ihn hier im Labor nennen?«
»Nein.«
»Den Friseur.«
Ann Kathrin schluckte trocken. Zu gern hätte sie jetzt etwas von dem Kaffee gehabt. Der Geschmack im Hals war widerlich.
»Gibt es Ergebnisse der Blutuntersuchung?«, fragte sie.
»Ja. Es ist, wie du gedacht hast. Er hat ihr etwas injiziert, das die Leichenstarre hinauszögert.«
»Irgendwelche Betäubungsmittel?«
»Sie muss über einen längeren Zeitraum Beruhigungsmittel eingenommen haben. Baldrian und so ein Zeug. Aber keine K.-o.-Tropfen, nichts, was willenlos macht oder so etwas. Ihre letzte Mahlzeit war Lamm, Rosenkohl, Kartoffelgratin. Dazu Rotwein, aber frag mich nicht, welche Marke.«
Rupert lachte, aber Ann Kathrin fand es nicht lustig. Sie fragte sich, warum sie nicht einfach mit dem Telefon ins Schlafzimmer ging, sich zu Weller aufs Bett setzte und einen Schluck Kaffee trank. Warum stand sie hier herum, als hätte sie den Bus
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