Ostfriesengrab
Grenzen gebracht.«
Ann Kathrin zog sich an, als ob es gleich schon losgehen würde. Weller kam sich komisch dabei vor, aber er stand immer noch nackt an der Kaffeemaschine, die jetzt laut die arabischen Bohnen zermahlte.
»Ich war bei der Sparkasse. Die haben mir sofort geholfen. Immerhin habe ich noch dieses Haus hier. Ich habe eine Hypothek darauf aufgenommen.«
Noch eine, wollte Weller fragen, weil er es bedenklich fand, wie sehr die zwei sich verschuldeten. Aber er schluckte den Satz hinunter.
Er reichte ihr ihre Espressotasse. Sie stießen damit an, als seien es Champagnergläser. »Auf deinen Vater«, sagte Weller.
»Darauf, dass ich seinen Mörder endlich der gerechten Strafe zuführe.«
Plötzlich bekam Ann Kathrin nasse Füße. Der Küchenboden hatte sich in eine Pfütze verwandelt.
Schon auf der Fahrt von Aurich zum Schlosspark Lütetsburg wusste Ann Kathrin nicht, ob der Magen-und-Darm-Virus sie auch erwischt hatte oder ob es nur die Nervosität war. In ihrem Darm gluckerte es wie in einer defekten Heizung. Es war so laut, dass Weller sich ein Grinsen verkneifen musste.
Sie saß auf dem Beifahrersitz ihres Dienstwagens, die Hände im Schoß ineinander verschränkt. Er warf ihr einen verstohlenen Blick zu und sah, dass sie auf der Unterlippe herumkaute. Sie starrte auf ihre Knie, und Weller fragte sich, ob sie ihre Heckler & Koch entsichert in ihrer Handtasche trug. Er hatte ein ungutes Gefühl. Das Ganze war ein unausgegorener Plan, und sie hatten niemanden eingeweiht. Der heutige Tag konnte das Ende ihrer beider Karrieren bei der Kripo bedeuten.
Er räusperte sich. »Wie weit wollen wir das Ding eigentlich durchziehen, Ann? Wir sind schon ziemlich weit gegangen. Ich fürchte, wir verrennen uns da in etwas.«
Ihre Antwort kam wie aus einer anderen Welt. Ihre Stimme hatte etwas von diesen Telefonautomaten, die Weller so sehr hasste, weil er nirgendwo gern anrief, um sich mit Maschinen zu unterhalten und sich von ihnen immer weiter zur nächsten Maschine leiten zu lassen.
»Was willst du? Aussteigen?«
»Ann, bitte. Mach es mir jetzt nicht so schwer. Ich habe doch nur Angst, dass wir einem unausgegorenen Plan folgen und hinterher keinem Menschen mehr vernünftig erklären können, wie wir auf diesen Blödsinn gekommen sind.«
»Das ist kein Blödsinn. Das ist die große Chance, auf die ich schon ewig gewartet habe.«
»Wenn du dir so sicher bist, Ann, warum rebelliert dann dein Magen?«
»Jeder zweite hat diesen Scheißvirus.«
»Und warum starrst du vor dich hin wie eine Plastikpuppe?«
Jetzt kam mehr Leben in ihre Stimme, und nach wenigen Worten hörte sie sich schon wieder fast an wie die Frau, die er liebte.
»Wir stehen gar nicht so schlecht da. Wir sind viel weiter als vorher. Wir haben sein Geständnis.«
»Aber wenn er erzählt, wie es dazu kam, dann … «
»Dann wird ihm keiner glauben.«
Weller drückte seine Zunge gegen den Gaumen, schob das Kinn vor und nickte. Vielleicht unterschätzte er sie einfach. Vielleicht hatte nicht Meuling sie an der Angel, sondern sie ihn. Trotzdem hakte Weller nach: »Und seine Anwältin?«
»Ihre Aussage dürfte wenig Wert haben. Klingt nach einer Schutzbehauptung, um ihren Klienten herauszuhauen.«
Weller drosselte das Tempo, weil eine Windböe den Regen so heftig gegen die Scheiben platschen ließ, dass er für einen Moment die Straße nicht mehr sah.
»Du vergisst, dass du ihr Fünfzigtausend überwiesen hast. Das wäre vor Gericht sehr erklärungsbedürftig.«
»Find ich nicht.«
Jetzt gestikulierte Ann Kathrin und sprach gegen die Windschutzscheibe, als würde sie vor Gericht stehen: »Hohes Gericht. Ich habe den Mörder von Mareike Henning überführt. Während des Verhörs kam heraus, dass er den Mörder meines Vaters kennt. Welche Druckmittel soll man ausüben auf einen Menschen, der vermutlich die nächsten fünfzehn Jahre seines Lebens im Gefängnis verbringen wird? Er hat mir ein Angebot gemacht. Er wollte fünfzigtausend Euro von mir, um mir den Namen des Mörders meines Vaters zu verraten. Ja, hohes Gericht, sagen Sie ruhig, ich sei naiv. Ja, nennen Sie mich unprofessionell. Vielleicht war das ein Fehler. Aber ich habe es getan. Ich habe das Geld aufs Konto seiner Anwältin nach Oldenburg überwiesen, um endlich diesen Fluch loszuwerden, der auf mir lastet. Können Sie sich vorstellen, was es für eine Kriminalkommissarin bedeutet, wenn sie tagtäglich schmerzhaft daran erinnert wird, dass der Mörder ihres Vaters frei
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