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Ostfriesengrab

Ostfriesengrab

Titel: Ostfriesengrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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hier aus hatte er einen freien Blick. Gleich würden alle hinstürmen und sich in Trauben auf dieser Seite des Schiffs drängen.
    Kai kletterte auf dem Sitz herum und ließ sein angeknabbertes Magnum fallen. Dabei machte das Eis einen dicken Fleck auf die Hose des Fremden, dessen Gesicht im ersten Moment vor Zornesröte glühte. Aber seine Stimme war ganz anders. Er sagte, das mache doch alles nichts und sei überhaupt nicht schlimm. Schon war der Vater da und zog seinen Sohn weg. Die Mutter wollte unbedingt dabei helfen, den Fleck zu beseitigen oder die Reinigung der Hose bezahlen, doch der Fremde winkte nur ab und zog sein Käppi tiefer in die Stirn. Seine Sonnenbrille war so groß, dass er ein bisschen aussah wie Puck die
Stubenfliege. Wenn später jemand versuchen würde, ihn zu beschreiben, so war er sich sicher, dass niemand sein Alter auch nur auf zehn Jahre genau hätte bestimmen können, geschweige denn seine Augenfarbe oder seine Haarfarbe.
    Der kleine Kai sah die Tote zuerst. Er rief: »Guck mal, guck mal, Papa, eine nackte Frau!«
    Kurz danach gellten schrille Schreie übers Watt. Eine alte Dame und ein junger Mann wurden ohnmächtig. Eltern versuchten, die Blicke ihrer Kinder woandershin zu lenken, Mütter zerrten ihre Söhne weg und hielten ihnen die Augen zu, einige Hartgesottene zückten ihre Fotohandys und machten Urlaubsaufnahmen, wie sie noch nie zuvor auf einer Postkarte zu sehen waren.
    Er duckte sich weg. Er wollte nicht aufgenommen werden. Daran hatte er nicht gedacht. All die blitzenden Handys, all die Digitalkameras – wer sagte ihm, dass er nicht zufällig mit auf eines der Bilder kam? Er konnte hier nicht weg. Die Menschen drückten ihn gegen die Reling, wie er es zum letzten Mal bei einem Rockkonzert der Stones erlebt hatte, als er ganz vorn stand und das Gefühl hatte, von hinten erdrückt zu werden.
    Jugendliche sprangen einfach hoch, hielten ihre Fotohandys in die Luft und blitzten blindlings. Er zog sich die Kappe noch tiefer und schützte sich mit den Händen. So sehr er das Publikum wollte, hätte er jetzt am liebsten alle weggejagt. Diese Meute entweihte sein Kunstwerk mit ihrer Sensationslust und Neugier.
     
    Die Nachricht traf Ubbo Heide, als er sein Frühstücksei köpfte, wie ein Schlag in die Magengrube. Er hatte sofort keinen Hunger mehr und wusste, dass dieser Tag damit gelaufen war.
    Rupert brüllte allen Ernstes seine Magen-und-Darm-Viren an, als seien sie eine Person, mit der er verhandeln könnte. »Ich habe verstanden, was ihr mir sagen wollt! Ich soll nicht immer
so eine Scheiße essen und mir in Zukunft mehr Zeit zum Kauen nehmen! Aber jetzt nicht! Um Himmels willen, jetzt nicht! Ich will dabei sein, könnt ihr das nicht kapieren?«
    Weller und Ann Kathrin hatten sich eigentlich im Kontor zum Mittagessen verabredet, aber auch daraus würde natürlich jetzt nichts werden. Weller informierte Ann Kathrin per SMS :
    Meuling hat wieder zugeschlagen. Genau wie du prophezeit hast. Diesmal im Wasser.
    Ann Kathrin las die Nachricht auf ihrem Handy, als sie frisch geduscht und mit nassen Haaren in die Küche kam. Ihr Handy lag auf dem Tisch und blinkte. Eine Weile blieb sie bewegungslos stehen, nachdem sie die Nachricht gelesen hatte. Sie spürte die Steinfliesen unter ihren Füßen. Durch das gekippte Küchenfenster pfiff ein Windzug herein, weil im Wohnzimmer die Tür zur Terrasse offen stand.
    Er bildet tatsächlich die Elemente ab, dachte Ann Kathrin. Als Nächstes also das Feuer.
    Sie rief Weller an. Der wollte eigentlich gar nicht mit ihr reden. Er saß bereits im Hubschrauber und machte sich Sorgen um Ubbo Heide, denn der wirkte wie ein Mann mit schrecklicher Flugangst, der das aber auf gar keinen Fall zugeben will.
    Weller brüllte gegen den Hubschrauberlärm an: »Diesmal hat er es noch größer inszeniert. Er legt Wert auf ein Riesenpublikum. Eine Fähre voll mit Touristen. Sie alle gleiten an seiner Leiche vorbei, und das kann niemand mehr geheim halten. Ich wette, hundert Fotoapparate haben die Sache aufgenommen. Bald werden die ersten Videos im Netz stehen. Ann, wenn wir das hier nicht unter Kontrolle kriegen, dann … «
    »Als Nächstes wird eine Frau brennen«, sagte Ann Kathrin. »Vielleicht können wir das noch verhindern.«
    Er konnte kaum verstehen, was sie sagte. »Wie denn?«
    »Bei seinem Sinn für Inszenierungen wird er sie kaum in irgendeinen alten einsamen Schuppen schleppen und anzünden. Er wird einen Ort suchen, der auffällt. Eine Erhebung, ein

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