OstfriesenKiller
Essen sehen konnte, bevor sie es kaufte.
Vor der Markthalle stand eine Skulptur, an der sie schon oft achtlos vorbeigelaufen war. Eine Sau, die ihre drei Ferkel säugte. Die Ferkel sahen fröhlich aus, mit fast menschlich lachenden Gesichtern. Direkt daneben ragte ein Stück von einem Wikingerschiff aus der Markthalle heraus, als habe es sie eben gerammt. Kinder kletterten darauf herum. Draußen saßen Familien beim Milchkaffee und genossen die milde Frühlingssonne.
Ann Kathrin blieb stehen. Irgendwie kam sie nicht an den drei Ferkeln und ihrer säugenden Mutter vorbei. Diese Skulptur stimmte sie zutiefst traurig. Sie erinnerte Ann Kathrin daran, dass sie als Mutter gescheitert war. Ihr Sohn war mit dem Vater ausgezogen.
In den ersten Wochen hatte sie Eike gestillt. Danach waren sie auf Fläschchen umgestiegen, das war praktischer, zumal sie sofort wieder halbtags mit dem Dienst begann. Sie konnte nicht zu Hause sitzen und die säugende Mutter spielen. Irgendwie war sie dafür nicht geschaffen. Stattdessen machte sie eine ostfriesische Einbrecherbande dingfest und verhaftete vierzehn Wochen nach der Geburt ihres Sohnes einen Trunkenbold, der das Gesicht seiner Ehefrau mit den Splittern einer Bierflasche entstellt hatte.
Sie hatte lange Zeit geglaubt, ihr Sohn sei stolz darauf, eine berufstätige Mutter zu haben und dann noch eine mit einem so spannenden Beruf. Gern sah er sich mit ihr »Tatorte« an, zumal es immer mehr Kommissarinnen gab. Wenn die Lena Odenthal einen schwierigen Fall gelöst hatte, sagte Eike oft zu seiner Mutter: »Die ist wie du, Mama.«
Nur hatte Lena Odenthal im Film kein Kind und auch keine feste Beziehung. Wahrscheinlich wussten die Drehbuchautoren genau, warum.
Durch den Anblick der Skulptur und die Erinnerung war ihr der Hunger wieder vergangen. Sie trank im Stehen nur ein Glas frisch gepressten Orangensaft.
Die Nervosität war in allen Gesichtern abzulesen. Selbst der sonst so gelassene Staatsanwalt Scherer vibrierte innerlich. Direkt nach der Dienstbesprechung war die Pressekonferenz angesetzt.
Rupert öffnete den obersten Hemdknopf. Ihm wurde warm. Er hatte einiges vorbereitet für diese Sitzung. Vielleicht war es auch nur die Anwesenheit von Rieke Gersema. Die Pressesprecherin hatte sich auf die Fensterbank gesetzt, neben den Hibiskus, der, erfreut über den Frühling, drei große rote Blüten zur Schau trug. Sie hatte zum Niederknien schöne Beine und zeigte sie gern. Ihr Rock endete, wenn sie stand, kurz über dem Knie, aber so, wie sie jetzt saß, hätte Rupert sie sich als Titelbild einer Illustrierten vorstellen können.
Ann Kathrin Klaasen sah Ruperts Reaktion auf ihre Kollegin Gersema, und einen Moment flammte die Eifersucht wieder in ihr auf. Phantasiebilder drängten sich in ihr Bewusstsein. Susanne Möninghoff im scharfen Minirock, wie sie die Beine übereinanderkreuzte und Heros Blick genoss.
Früher hatte Ann Kathrin manchmal mit ihm zusammen im Katalog schöne Unterwäsche ausgesucht und sie dann für ihn getragen. »Modenschau machen« nannten sie das und tranken dabei kühlen Sekt mit frischen Erdbeeren. Danach liebten sie sich fröhlich und ausgelassen. Wie lange war das her? Feierte er jetzt solche Abende mit seiner Susanne?
Ann Kathrin wurde übel. »Ich brauch ein Glas Wasser«, sagte sie und stand auf, um es sich zu holen.
Vor jeden Sitzplatz hatte jemand Papier und Bleistift hingelegt. In der Mitte Kaffee in Thermoskannen. Hinten bereitete Rupert einen Computer mit Joystick vor. Er legte sich ein paar Internetausdrucke zurecht. Er hatte seine eigene Theorie und wollte die heute vorstellen.
Weller hatte das Kochbuch bei sich.
Rupert referierte: »Ulf Speicher war sofort tot. Es war ein einzelner gezielter Schuss aus 15 Metern Entfernung. Der Täter stand neben einer blauen Mülltonne. Wahrscheinlich hat er sich sogar darauf aufgestützt. Wir haben aber keine verwertbaren Faserspuren gefunden. Es muss ein geübter Schütze sein. Vermutlich eine Präzisionswaffe, die ballistische Untersuchung läuft noch. Das Projektil ist kaum verformt. Es hat die Stirn von Ulf Speicher durchschlagen und ist hinten wieder ausgetreten. Das vermutliche Kaliber ist …«
Staatsanwalt Scherer schlug mit der geöffneten Hand auf den Tisch. Als habe er nur auf ein Stichwort gewartet, um zu explodieren, fiel er Rupert jetzt ins Wort: »Machen Sie Druck, Mensch! Ich krieg Pickel, wenn ich Worte wie v
ermutlich
höre. Wir haben exakte kriminalistische
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