OstfriesenKiller
war er ein Schädling, der ausgerottet werden musste, und heute …«
Ann Kathrin hob die Hände, als wolle sie sich ergeben. »Bitte, bitte, bitte! Können Sie die Bälle nicht ein bisschen flach halten, Frau Breuer? Wir haben alle die Nerven blank liegen, aber das ist jetzt doch wirklich nicht nötig. Wir müssen herausfinden, wer ein Interesse daran hatte, Ulf Speicher, Paul Winter und Kai Uphoff zu töten. Es kann sein, dass das Geheimnis in den Büchern des Vereins verborgen ist. In irgendeiner dieser Akten. Vielleicht ist der Täter unter den Drohbriefschreibern. Oder …«
»Die Drohbriefe haben Sie doch längst mitgenommen. Haben Sie die schon alle überprüft?« Speichelpartikel lösten sich beim Sprechen von Jutta Breuers Lippen und flogen durch das Zimmer.
Rainer Kohlhammer verkroch sich in eine Ecke des Raumes, hinter das Kopiergerät, und hielt sich die Hände vors Gesicht. Er zitterte. Streit konnte er nicht vertragen.
Jutta Breuer fauchte: »In unserer Buchführung ist nichts, gar nichts verborgen! Wir werden von Paritätischen überprüft, von der Mitgliederversammlung aller Angehörigen und …«
»Frau Breuer, das glaub ich Ihnen ja gerne. Aber ich brauche die Bücher trotzdem. Ich habe hier einen staatsanwaltlichen Durchsuchungsbefehl.«
»Das wird ja immer schöner!«
Ludwig Bongart schlug vor, einen Anwalt zu rufen. Weller versuchte, die Wogen zu glätten: »Wir suchen zum Beispiel 80 000 Euro, die Georg Kohlhammer angeblich an den Verein überwiesen hat.«
Jutta Breuer nickte. »Ja. Das ist der Gewinn der Imbisskette vom letzten Vierteljahr. Eine Abschlagszahlung sozusagen. Alles wird für Rainer auf ein Sperrkonto eingezahlt. Davon wird sein Lebensunterhalt bestritten, seine Altersvorsorge und …«
Sie hörte auf zu sprechen und machte eine Geste, als sei das doch alles sinnlos. Gleichzeitig ging sie zum Schrank, zog die DATEV -Konten der letzten Jahre heraus und warf sie Ann Kathrin Klaasen vor die Füße. Sie steigerte sich immer mehr: »Da, nehmen Sie sie doch! Nehmen Sie sie doch!«, brüllte sie und schleuderte Aktenordner um Aktenordner in den Raum.
Ann Kathrin blieb ganz ruhig stehen. Weller sah Josef de Vries an. Der war offensichtlich hin- und hergerissen zwischen dem Versuch, Jutta Breuer zu beruhigen, und der Idee, einen Anwalt zu rufen. Er umklammerte mit seiner großen Hand ein Handy, das komplett darin verschwand.
»Hat Herr Speicher irgendjemandem von Ihnen gegenüber mal geäußert, dass er Angst hatte? Oder Kai Uphoff oder Paul Winter?«
Ludwig Bongart antwortete für Josef de Vries. Das passierte nicht zum ersten Mal. Ludwig war in vielen Dingen einfach schneller.
»O ja. Ulf hatte Angst. Zum Beispiel Angst, kein Weihnachtsgeld zahlen zu können. Ein beliebtes Spiel von Politikern ist es nämlich, uns die Mittel zusammenzustreichen. Die Schwächsten in der Gesellschaft zu stützen und zu fördern müsste eigentlich die vornehmste Aufgabe des Staates sein.«
Ludwig sah sich um. Alle nickten. Hier stieß er auf breite Zustimmung.
Weller hatte das Gefühl, einen zukünftigen Volksredner vor sich zu haben. Er konnte sich gut vorstellen, wer bei der Demonstration für den Verein sprechen sollte.
»Stattdessen«, fuhr Ludwig fort, »hat man uns zu Bittstellern gemacht. Auf Almosen angewiesen.« Er trat gegen eine Kiste, in der Teddybären und selbstgestrickte Pullover lagen. »Zu Flohmarkthändlern, damit wir Jugendfreizeiten organisieren können. Vielleicht«, prophezeite er, »werden wir diesem irren Killer noch dankbar sein, weil er uns die Gelegenheit gibt, das Rad der Geschichte herumzudrehen. Jetzt wird offensichtlich, was hier in der Gesellschaft passiert. Es wird einen Aufstand der Anständigen gegen die verrottete Moral der Scheinheiligen geben!«
So ähnlich, dachte Ann Kathrin, müssen Revolutionen anfangen. Leute setzen sich an die Spitze einer Bewegung, durch nichts weiter legitimiert als ihren gerechten Zorn.
»Vielleicht«, sagte Ann Kathrin betont ruhig, »hilft uns jemand, die Akten nach unten zu bringen.«
Josef de Vries stand auf, leerte die Kiste, die Ludwig gerade umgetreten hatte, aus, und packte Aktenordner hinein.
Ann Kathrin ließ die Angriffe einfach an sich abtropfen. Das hatte sie von ihrem Vater gelernt.
Geh nicht mit jedem in den Clinch. Wenn die Leute ausrasten, haben sie oft ihre Gründe dafür. Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Nimm die Dinge nicht persönlich. Das macht einen fertig. Manchmal müssen sich die
Weitere Kostenlose Bücher