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OstfriesenKiller

OstfriesenKiller

Titel: OstfriesenKiller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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schweißte damit alle anderen nur noch fester zusammen. Nie war Josef de Vries so stolz darauf gewesen, im Regenbogen-Verein mitzuarbeiten wie jetzt.
    Das zehnjährige Bestehen stand kurz bevor. Nur noch eine Woche, dann wäre es so weit gewesen. Ulf Speicher hatte vor, die öffentliche Aufmerksamkeit, die durch ein solches Jubiläum auf einen Verein gelenkt wird, auszunutzen. Er wollte weitgehende Forderungen stellen. Wollte damit drohen, die Arbeit des Vereins in Ostfriesland ganz und gar einzustellen, wenn Gemeinden und Städte ihm nicht entgegenkamen. Er wusste, dass sie wertvolle Arbeit leisteten, und die gab es nun mal nicht zum Nulltarif.
    Jetzt endlich schenkte man der Sache der Behinderten Beachtung. Ulf Speicher hätte diese Situation großartig gefunden und gnadenlos ausgenutzt. Ja, so kannte Josef de Vries den alten Fuchs. Immer kurz vor Landtags- oder Bundestagswahlen trotzte er den Politikern Versprechen ab. Jeder ließ sich gerne mit dem
guten Menschen von Ostfriesland
, wie Ulf Speicher oft genannt wurde, fotografieren. Aber kaum einer hielt sich später an die Absprachen und Versprechungen. Die wenigen, die anders waren, hatten Ulf Speicher auf ihrer Seite. Egal, zu welcher Partei sie gehörten.
    Josef de Vries wollte eigentlich nur schnell zu Hause duschen, sich frische Sachen anziehen und dann zur Vollversammlung fahren. Sie hatten sie einberufen, ohne auf irgendwelche Formalitäten zu achten. Einfach ein Rundruf per Schneeballsystem. Alles, was in normalen Zeiten nicht funktionierte, schien in Krisensituationen zu klappen. Er hatte schon Vollversammlungen mit weniger als zehn Teilnehmern erlebt. Für heute Abend hatten sich telefonisch fast hundert Personen angesagt. Pressevertreter nicht mitgerechnet.
    Die Büros im Regenbogen-Verein reichten dafür natürlich nicht aus. Alles sollte im Freizeitheim stattfinden, obwohl es dort nicht genügend Stühle gab. Die Zivis hatten eine Zusage vom Hans-Bödecker-Gymnasium, dort konnten sie die Aula benutzen.
    Zu Hause vor seiner Tür fand Josef de Vries ein Päckchen. Gelbes Papier mit einer rosa Schleife. Er öffnete es noch im Flur. Seine Lieblingspralinen. Cognac-Sahne-Trüffel. Er stopfte sich drei auf einmal in den Mund und suchte nach einer Grußkarte. Es war keine dabei.
    Die Witwe von der gegenüberliegenden Seite hatte ihm in letzter Zeit immer zugewinkt, wenn er zur Arbeit gefahren war. Sollte das eine heimliche Liebeserklärung sein? Oder solidarisierte sich die Bevölkerung inzwischen so sehr mit dem Regenbogen-Verein, dass sie ihm Pralinen vor die Tür legten?
    Wie dem auch sei, er genoss es.
    Die Pralinen schmeckten ein bisschen bitter, mehr nach Marzipan als nach Cognac und Mandeln, obwohl eigentlich keine drin sein sollten. Auch einen Hauch von Pistazien schmeckte er heraus.
    Josef de Vries schaltete den Fernseher ein. Am liebsten hätte er den ganzen Tag durch die Programme geswitcht. Auf irgendeinem Kanal wurde immer über den Regenbogen-Verein und die Morde berichtet. Er bekam gar nicht genug davon. Endlich Aufmerksamkeit!
    Tatsächlich trat alles andere in den Hintergrund, und in den Diskussionsrunden saßen plötzlich keine Steuerexperten mehr, sondern es ging um Integration und Behindertenarbeit. Da schwangen sich jetzt Leute zu Experten auf, die noch nie die Arbeit eines solchen Vereins von innen gesehen hatten, und Politiker, die gerade noch Mittelkürzungen gefordert hatten, zeigten sich plötzlich als wahre Freunde der Behinderten. Trotz der ganzen Verlogenheit wäre Ulf Speicher begeistert gewesen. Endlich wurde ihre Sache öffentlich diskutiert.
    Josef de Vries drehte den Fernseher laut und ließ die Badezimmertür offen stehen, als er unter die Dusche ging. Er wollte so wenig wie möglich davon verpassen.
    Als das heiße Wasser ihn traf, spürte er ein leichtes Schwindelgefühl. Er hielt das Gesicht hoch zum Duschkopf, um sich die Haut von den Tropfen massieren zu lassen. Dann fiel es ihm plötzlich schwer auszuatmen. Es war, als seien seine Lungen wie versteinert. Er hustete und krümmte sich.
    Josef de Vries riss die Augen auf. Er sah rote Punkte auf sich zufliegen. Noch bevor er in die Duschwanne fiel, wusste er, dass er die große Vollversammlung nicht mehr erleben würde.
     
    Der Film hatte schon begonnen, als Ann Kathrin Klaasen das Kino erreichte. Sie kaufte sich eine Eintrittskarte und ein Mineralwasser.
    Neben ihr stand ein junger Mann im Cordhemd mit Flaumbärtchen und bestellte sich einen Liter Cola. Er grinste

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