Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
OstfriesenKiller

OstfriesenKiller

Titel: OstfriesenKiller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
Vom Netzwerk:
in keinen Zeichentrickfilm, oder? Überhaupt, die ganze Bande, die da vorne saß …«
    »Wenn die sehen, wo wir sind, kommen die auch dahin«, hauchte Tamara.
    »Die warten vor dem Kino auf euch?«
    »Nein. Die hängen in der Stadt rum und warten auf einen. Manchmal laufen sie uns den ganzen Tag nach«, sagte Sylvia nicht ohne Koketterie und warf die Haare nach hinten. »Sie warten dann nur, bis es irgendwo …«
    »Eine günstige Gelegenheit gibt?«, ergänzte Ann Kathrin. Tamara nickte.
    »Er ist also nicht alleine?«
    »Nein, da sind auch noch der Derk Abels, der Uwe Niessen und der Wilko Reeners.«
    Ann Kathrin schüttelte den Kopf: »Und das lasst ihr euch gefallen?«
    Sylvia holte tief Luft, als müsse sie Ann Kathrin die Welt erklären: »Jungs sind so. Man muss es ihnen nur gut machen, dann sind sie eigentlich ganz in Ordnung.«
    Ann Kathrin war übel. Sie ging zur Toilette. Im Spiegel sah sie ihr Gesicht an. Sie hatte schwarze Ränder unter den Augen.
    In ihr brodelte eine irre Wut. Wie musste Jutta Breuer sich erst fühlen? Die wusste doch von all diesen Dingen. Die war viel näher dran. Die machte seit Jahren diese Behindertenarbeit. Die musste doch jeden Tag mit ansehen, wie sehr ihre Mädchen Freiwild waren.
    Ann Kathrin nahm sich vor, die Mädchen danach zu fragen, wie sie verhüteten.
    Als sie zum Tisch zurückkam, hatte Sylvia bereits für alle drei bezahlt.
    Vielleicht spürte Sylvia, dass Ann Kathrin nicht gerne in ihr Haus im Distelkamp zurückwollte. Sie fürchtete sich vor der Nacht, der Einsamkeit. Vielleicht schlich der Mörder ja um ihr Haus herum. Sylvia bot an: »Du kannst auch gerne bei mir schlafen, wenn du keine Lust hast, nach Hause zu fahren. Ich hab Platz genug. Du kannst auch einen Schlafanzug von mir bekommen.«
    Dankbar schüttelte Ann Kathrin zunächst den Kopf. »Das ist wirklich nett von dir, aber ich glaube, ich muss nach Hause zurück.«
    »Du warst heute ganz toll, fand ich. Wie eine richtige Freundin«, sagte Sylvia sichtlich bewegt, und Tamara nickte. »Ja, wie eine richtige Freundin.«
    Dann entschied Ann Kathrin, dass die Idee vielleicht gar nicht so blöd war, und nahm Sylvias Angebot an.
     
    Der Leichnam von Josef de Vries wurde in dieser Nacht nicht gefunden. Die Dampfschwaden zogen von der Dusche ins Wohnzimmer, in dem das Fernsehgerät weiterhin laufend Nachrichten über die Mordserie in Ostfriesland sendete.
    Seine Beine lagen noch in der Duschmuschel und versperrten den Abfluss. Sein Oberkörper war merkwürdig verrenkt auf die Badematte drapiert.
    Das Wasser weichte die Teppiche auf und trat bereits durch die Haustür nach draußen in den Garten, wo es in den Blumenbeeten versickerte. Ein kleines Rinnsal bildete sich auf dem Steinweg, der zum Gartentor führte, von dort floss das Wasser über den Bürgersteig in den Rinnstein.
     
    Bei der Regenbogen-Vollversammlung wurde der stille Logopäde nicht wirklich vermisst. Es war so voll, dass seine Abwesenheit nicht weiter auffiel. Einige Wortführer zogen die Aufmerksamkeit vollständig auf sich. Unter ihnen tat sich besonders Ludwig Bongart hervor. Er konnte scharf und genau formulieren. Er präsentierte sich als der Radikalste der Radikalen. Als Freund von Ulf Speicher. Und viele sahen an diesem Abend in ihm so etwas wie seinen Thronfolger. Zivildienstleistender hin, Zivildienstleistender her, er hatte das Zeug dazu, den Verein zu führen, die Forderungen zu benennen. Man konnte ihn sich gut in einer Talkshow vorstellen, bei der er mit seiner geschliffenen Art zu reden in der Lage war, auch den abgebrühtesten Politiker in Verlegenheit zu bringen.
    Ludwig stellte erschütternde Zusammenhänge her. »Die Behinderten werden an den Rand gedrängt. Es geht um Effektivität, um schneller, höher, weiter. Gewinne müssen gemacht werden. Da sind wir nur als Bremsklötze im Weg. Der Mörder ist nichts weiter als der schlagende Arm der Politiker, die uns finanziell am Gängelband führen. Ohne Zivildienstleistende wäre die gesamte Behindertenarbeit in diesem Land schon längst zusammengebrochen.«
    Ludwig führte Zahlen ins Feld, warf mit Prozenten um sich, mit Pflegesätzen und Stundenlöhnen, die er Hungerlöhne nannte. Doch er stellte die Situation nicht nur als unhaltbar dar, nein, er gab den Menschen auch eine Vision.
    Seine Rede endete mit Bravorufen und tosendem Beifall. Einige standen sogar auf, um ihm stehende Ovationen zu bringen.
    Jutta Breuer blieb auf ihrem Stuhl sitzen und sah ihn fasziniert an. Das hier war

Weitere Kostenlose Bücher