OstfriesenKiller
Hamburg-Mannheimer-Versicherung konnte man ihr weiterhelfen. Sylvia Kleines Vater hatte eine Lebensversicherung auf 3 Millionen – damals noch D-Mark – abgeschlossen. Bei Unfall verdoppelte sich die Auszahlungssumme. Eine Weile hatte die Versicherung einen Selbstmord vermutet, was sie von der Auszahlung befreit hätte, aber nachweisen ließ sich das nicht, und schließlich hatte die Versicherung gezahlt. Es gab kriminaltechnische Gutachten aus Griechenland in deutscher Übersetzung. Warum das Boot in die Luft geflogen war, wusste niemand. Aber es hatte sich nicht weit vom Strand entfernt befunden. Es gab Zeugen, die den Knall gehört und die Stichflamme gesehen hatten. Verbrannte Leichenteile waren später in Fischernetzen aufgetaucht. Unter anderem die rechte Hand des Vaters, an der die Rolex-Uhr noch tickte.
Der Tod des Großvaters war genauso mysteriös. Er war nachts auf dem Störtebekerweg überfahren worden. Der Fahrer hatte Fahrerflucht begangen.
Was Hinrich Kleine um diese Zeit dort auf der Straße zu suchen gehabt hatte, wusste niemand. Seine Verletzungen deuteten aber darauf hin, dass er zweimal überfahren worden war. Die Kollegen, die den Unfall aufgenommen hatten, erklärten sich das so: »Es ist möglich, dass der Fahrer zunächst Fahrerflucht beging, dann zurücksetzte, um nach dem Opfer zu schauen, in der Stresssituation zu weit zurücksetzte und den Mann noch einmal überrollte. Danach drehte er vollends durch und floh.«
Konnte es, fragte sich Ann Kathrin, nicht genauso gut ein Mord gewesen sein?
Hatte jemand Hinrich Kleine dorthin gelockt und ihn dann überfahren, um aus Sylvia eine Vollwaise zu machen? Um ihr jeden familiären Schutz zu nehmen?
Wenige Monate später starb die Großmutter im Krankenhaus. Der Totenschein wies Herzversagen aus.
Ann Kathrin ärgerte sich immer wieder über diese originelle Begründung von Ärzten. Natürlich setzte am Ende bei jedem das Herz aus. Ein Herzinfarkt, okay. Ein Gehirnschlag, warum nicht? Aber doch bitte nicht Herzversagen.
Sie entschied, die Exhumierung der Leiche zu beantragen. Was, wenn sie vergiftet worden war?
Ann Kathrin stellte sich vor, wie jemand versuchte, Sylvia zu isolieren, um sie und ihr Vermögen in den Griff zu bekommen. Hatte Tim Gerlach das Format dazu? Konnte es sein, dass so ein junger Mensch derart berechnend vorging?
Oder konnte es nicht genauso gut sein, dass Tim das nächste Opfer war? Der Täter hatte konsequent jeden aus dem Weg geräumt, der zwischen ihm und dem Vermögen stand. Dann machte er sich an Sylvia heran, die wurde aber inzwischen nicht nur vom Regenbogen-Verein betreut, sondern ein Mitgiftjäger, Tim Gerlach, kam ins Spiel.
Ja, Ann Kathrin war sich sicher: Tim Gerlach war nicht der Täter, sondern das nächste Opfer. Dann hätte der Täter absolut freie Bahn.
Vielleicht befand er sich ja in den Reihen des Regenbogen-Vereins, um besonders unverdächtig zu erscheinen. Gab es eine bessere Tarnung, als dort ehrenamtlich mitzuhelfen?
Ann Kathrin dachte an den charismatischen Ludwig Bongart. Er hätte bei Sylvia leichtes Spiel. Sie schrieb ihm schon Liebesbriefe. Sie war eifersüchtig, weil seine Freundin ein Baby bekam. Hatte sie ihm auch angeboten, für seinen Lebensunterhalt aufzukommen, wenn er mehr Zeit mit ihr verbringen würde?
Jedenfalls gab es im Regenbogen-Verein Ärger, weil Ludwig Bongart sich zu sehr an sie herangemacht hatte.
Dann drängte sich Jutta Breuer in Ann Kathrins Gedanken. Wie durch einen fernen Lautsprecher hörte Ann Kathrin ihre schrille Stimme. Konnte es sein, dass diese Frau so verbittert war und all diese Morde begangen hatte?
Versetz dich in die Personen hinein,
hatte ihr Vater ihr oft gesagt.
Versuch, zu denken wie sie. Versuch, die Welt mit ihren Augen zu sehen. Wenn du nicht in ihrer Haut steckst, kannst du ihre Handlungen nicht verstehen.
Ann Kathrin war allein im Raum, doch sie nickte, als hätte ihr Vater gerade wirklich zu ihr gesprochen.
Sie versuchte, die Welt mit den Augen von Jutta Breuer zu sehen. Vielleicht hatte sie die Morde begangen, um genügend Geld für den Regenbogen-Verein zu gewinnen. Vielleicht war das ihre Art, um die Liebe von Ulf Speicher zu kämpfen. Sie wusste, dass er sie mit anderen Frauen betrog. Wer weiß, wie oft sie diese Demütigung erfahren hatte.
Hatte sie dann – nachdem sie einmal gemerkt hatte, wie leicht es war, ein Menschenleben auszulöschen, angefangen, sich für all diese Verletzungen zu rächen?
Es gibt nur drei mögliche
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