Ostfriesenmoor: Der siebte Fall für Ann Kathrin Klaasen (German Edition)
Samstagmorgens um zehn Uhr zwanzig.«
»Muss ich mir unbedingt aufschreiben«, zischte Rupert.
Schrader, der kein Gefühl für Ironie oder Zynismus hatte, notierte freundlicherweise die Angaben für Rupert auf einem kleinen gelben Zettel.
»So, und jetzt zu Ihnen«, sagte Rupert und wollte sich Gunnar Peschke vorknöpfen.
Rieke Gersema machte Platz, aber Peschke hielt ihr die Hand hin. »Ich wollte mich nur verabschieden.«
»Sie können jetzt nicht so einfach gehen«, behauptete Rupert.
»Oh doch, und ob ich das kann. Ich habe bereits alles zu Protokoll gegeben. Sie haben schon viel mehr von meiner Zeit in Anspruch genommen, als gut ist. Wenn Frau Klaasen noch Fragen hat, kann sie mich anrufen.«
»Halt, halt, halt, stopp! Wie erklären Sie sich, dass Sie die Leiche gefunden haben, Herr Peschke?«
»Nun, sie wurde angespült, und ich fuhr mit dem Rad da entlang.«
»Was glauben Sie, wie viele Touristen im Moment hier Urlaub machen?«
»Keine Ahnung. Ich arbeite beim Fernsehen, nicht beim Statistischen Bundesamt oder der Kurverwaltung. Sagen Sie’s mir. Wie viele sind es?«
Rupert ging nicht darauf ein, und weil er die Zahl selbst auch nicht wusste, fuhr er fort, als hätte jemand sie genannt: »Und ausgerechnet Sie finden die Leiche! Kommt Ihnen das nicht merkwürdig vor?«
»Ja, allerdings. Das hier scheint ja eine mörderische Gegend zu sein. Der Mann wurde doch ermordet, oder liege ich da falsch?«
Rupert sah zwischen Rieke und Schrader hin und her. Von Mord hatte er auf dem Papier von Rieke nichts gelesen.
»Sie machen zweimal hier Urlaub und finden jedes Mal eine Leiche! Da soll ich noch an Zufall glauben?«
Gunnar Peschke lachte. »Wir haben neulich im ZDF einen Film über einen Mann gemacht, der hat zweimal hintereinander im Lotto gewonnen. Sechs Richtige. Und jedes Mal alles wieder verspielt.«
Damit berührte er einen wunden Punkt in Rupert. Der spielte seit zwanzig Jahren Lotto, tippte immer die gleichen Zahlen und traute sich nicht aufzuhören, weil er immer befürchtete, an dem Tag, wenn er zum ersten Mal seinen Schein nicht abgab, würden die Zahlen, die er natürlich auswendig runterbeten konnte, abends im Fernsehen gezogen werden.
Peschke sah auf die Uhr. »Also, Sie haben all meine Kontaktdaten. Tschüs dann.«
Rupert wollte hinterher, aber Rieke stoppte ihn. »Lass ihn!«
Sauer kehrte Rupert an seinen Schreibtischplatz zurück. Er ließ sich auf den Bürostuhl fallen. Der quietschte verdächtig.
Schrader hielt Rupert einen gelben Zettel hin.
»Was soll ich damit?«
Ohne zu antworten, schob Schrader den Zettel näher zu Rupert, bis der sich genötigt sah, ihn an sich zu nehmen. Er warf einen Blick darauf und verstand nicht ganz.
»Der Sendetermin. Ich hab alles für dich genau notiert, damit du nichts verpasst. Kinderkanal. Samstagmorgen. Zehn Uhr zwanzig. Bettina Göschl.«
Wütend knüllte Rupert das Papierstück zusammen und pfefferte es in den Papierkorb.
Auf dem Parkplatz beim Ocean Wave wurde der Wagen von Wolfgang Müller gefunden. Einem Lehrerehepaar aus Bad Hersfeld war das Auto aufgefallen. Die Tür war nicht abgeschlossen, an der Innenscheibe klebte Blut.
Ann Kathrin saß noch im Auto, als die Meldung bei ihr ankam. Sie hielt auf dem Seitenstreifen und sah den Windrädern zu. Sie wirkten, als würden sie die Wolken verschieben. Ann Kathrin reckte sich und machte ein paar Körperübungen, was vorbeikommende Autofahrer irritierte. Sie hupten.
Ann Kathrin kümmerte sich nicht darum. Sie spürte den Wind in den Haaren, und gleich ging es ihr gut.
Mit dem Wind kam die Klarheit.
Sie zählte eins und eins zusammen und ahnte, wer der Tote aus der Nordsee war. Versuchte hier jemand, eine Familie auszulöschen? Schwebten Lucy und ihre Mutter in Lebensgefahr?
Welch perfider Plan. Der Mörder setzt die Familie unter Druck, nicht die Polizei einzuschalten, weil er ein Kind in seiner Gewalt hat. Es geht aber gar nicht um Entführung, sondern um irgendeine Rache. Jetzt bringt er sie nacheinander um, und ein Polizeieinsatz ist unmöglich, weil die Familienmitglieder es nicht wollen.
Ann Kathrin rief Ubbo Heide an und teilte ihm ihre Überlegungen mit. Er hörte sich an wie ein Sprachcomputer, als er antwortete: »Weller ist bei ihnen. Er gibt sich als Onkel aus. Mehr ist nicht drin. Wir wollen die Kinder nicht gefährden. Es muss oberste Priorität haben, das Leben der entführten …«
Sie unterbrach ihn: »Ubbo! Das ist hier keine Pressekonferenz. Oder steht jemand
Weitere Kostenlose Bücher