Ostfriesenmoor: Der siebte Fall für Ann Kathrin Klaasen (German Edition)
»Tut mir leid, das ist wirklich blöde. Hast du Angst, dass deine Frau es merkt? Du kannst mein Seidentuch haben …«
Der Knutschfleck verschwand unter dem Tuch, aber Rupert kam sich unglaublich schwul damit vor. Er wusste nicht, was schlimmer war: für einen Ehebrecher gehalten zu werden oder für einen verkappten Schwulen, der verheiratet ist und sein Coming Out noch vor sich hat.
Bei Ann Kathrin hätte er vielleicht so punkten können. Die mochte es, wenn Männer auch in der Lage waren, ihre weiche Seite zu zeigen.
Er sah jetzt schon vor sich, wie seine Frau ihm kopfschüttelnd das Tuch vom Hals zog, weil sie auf keinen Fall wollte, dass er seiner Schwiegermutter so gegenübertrat. Für die war er ja ohnehin nur eine ärmliche Witzfigur.
Eine Krawatte, dachte er. Eine Krawatte könnte alles herausreißen. Dagegen konnte auch seine Schwiegermutter nichts haben. Doch eine Krawatte saß einfach nicht hoch genug.
Da hatte Frauke eine neue Idee: »Du brauchst etwas Männlicheres. Etwas, das mehr zu dir passt. Was wirst du ihr erzählen, wo du die Nacht verbracht hast? Auf der Suche nach Schwerverbrechern?« Sie kicherte. »Mördern? Serienkillern?«
Der Gedanke schien ihr zu gefallen.
»Ja«, sagte Rupert, »so ähnlich«, und reckte sein Kinn hoch. Er schabte sich mit dem Handrücken über die Bartstoppeln. Er hatte keinen Rasierapparat dabei.
»Eine Verletzung … Jawohl, eine Verletzung würde dir gut stehen.«
»Das ist aber eindeutig ein Knutschfleck und kein Faustschlag.«
»Ich mach das so, dass es wie echt aussieht.«
Im Nu hielt sie eine Nagelfeile in der Hand und fügte ihm – er sah es im Spiegel, doch er konnte es nicht glauben – einen langen Schnitt quer über den Hals zu.
Er blutete wie ein angestochenes Schwein.
Er presste sich ein Handtuch an den Hals und schrie: »Bist du verrückt geworden? Scheiße! Scheiße! Spinnst du?!«
»Ich hol rasch den Verbandskasten aus meinem Auto, und dann mach ich dir einen eins a Druckverband. Deine Frau wird begeistert sein! Du kommst als Held nach Hause.«
»Hättest du den Verbandskasten nicht erst holen können?«, fluchte er.
Sie zog sich rasch an und lief dann barfuß nach unten.
Rupert torkelte aus dem Badezimmer und setzte sich aufs Bett. Ihm war ein bisschen schwindelig.
Mein Gott, dachte er, worauf habe ich mich da nur eingelassen? Was ist das denn für eine Katastrophenelse?
Aber dann verband Frauke ihn prächtig. Seine Ehe war damit gerettet. Niemand würde es wagen, diesen Verband abzureißen, und beim Frühstück tat es schon gar nicht mehr weh.
Während Rupert im Frühstücksraum die Tageszeitungen durchblätterte, auf der Suche nach einem Bericht über den Leichenfund im Uplengener Moor, rührte Frauke sich ein Müsli an und schnitt dazu einen Apfel klein.
»Was denkst du über diese schreckliche Sache?«, fragte sie. »Ich habe das Kind in der Pathologie gesehen. Ich hab selbst zwei Kinder. Da dreht sich einem doch der Magen um. Was für Menschen tun so etwas?«
Rupert sah sich um. Er fühlte sich von dem Pärchen am Fenster beobachtet, als würden sie ihn belauschen.
Frauke bemerkte seine Irritation und lächelte: »Das ist nur das schlechte Gewissen. Ich kenne das. Ich vermute dann überall Spione meines Mannes. Aber die beiden da sind harmlos, die haben sich einfach nur nichts mehr zu sagen.«
Vermutlich hat sie recht, dachte Rupert und machte jetzt seiner Meinung Luft: »Das ist das Werk von irgendwelchen Scheiß-Pädophilen. Die ganze Schweinebande hat man viel zu lange unbehelligt gelassen. Jetzt werden wir sie aus den Löchern holen. Auf so einen Augenblick habe ich schon lange gewartet. Das sind doch alles tickende Zeitbomben. Man weiß nie, wann eine davon hochgeht.«
»Du meinst, da hat sich jemand seine eigene kleine Gummipuppe gebastelt?«
»Würde mich nicht wundern, wenn man das Ganze irgendwo auf DVD kaufen oder im Internet runterladen kann. Ich garantier dir, die haben das alles gefilmt. Das ist nicht nur einer, sondern ein ganzer Ring. Aber jetzt haben sie einen Fehler gemacht, und den werden sie bereuen …«
Frauke zeigte sich beeindruckt und bot ihm etwas von ihrem Müsli an. Er lehnte aber ab. Fast hätte er den Spruch losgelassen: Echte Männer essen kein Müsli, aber im letzten Moment schwieg er und nippte stattdessen an seinem Kaffee.
»Du bist einer von den Guten«, sagte sie und berührte wie unabsichtlich seine Hand, streichelte einmal kurz seinen Handrücken und lächelte ihn an. »Gib’s
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