Ostfriesenmoor: Der siebte Fall für Ann Kathrin Klaasen (German Edition)
kanzelte sie ihn so ab?
Er wandte sich an Ubbo Heide und zischte: »Ich muss mir das nicht von ihr gefallen lassen!«
»Könnt ihr mal wieder sachlich werden?«, mahnte Ubbo Heide.
»Ich bin sachlich«, sagte Ann Kathrin.
»Wenn du sachlich bist, entstamme ich einem ostfriesischen Häuptlingsgeschlecht!«, schrie Rupert und setzte sich schwerfällig wieder hin.
»Weil du gerade stehst, König, hol doch mal Rieke rein«, schlug Weller vor. »Die muss was haben für die Presse.«
Rupert federte hoch und lief zur Tür. Dort blieb er stehen, als sei er gegen eine unsichtbare Wand gelaufen und drehte sich langsam zu Weller um.
»Ich steh nicht, ich sitze«, sagte er stehend, und nur durch das Grinsen seiner Kollegen erkannte er, wie lächerlich er sich gerade benahm.
Ubbo Heide, der gütige Chef, der sich immer wieder mit breiter Schulter vor seine Leute stellte, wenn es galt, sie im Irrsinn des Polizeialltags zu schützen, wirkte jetzt selbst schutzbedürftig. Er hatte einen Termin bei Staatsanwalt Scherer und machte keinen Hehl daraus, dass er das Schlimmste befürchtete.
Er fragte Ann Kathrin fast beiläufig, ob sie ihn begleiten könne, doch so sehr er sich auch Mühe gab, es mit Stimme und Gestik herunterzuspielen, umso mehr hörte sie den Hilfeschrei heraus. Es rührte sie, dass dieser große, alte Mann irgendwie in der Klemme saß, und obwohl sie ihrer Mutter gegenüber von einem unerträglich schlechten Gewissen geplagt wurde, war sie sofort bereit, ihn zu begleiten.
Scherer trug einen neuen Anzug in silbergrau, mit pinkfarbenen Fädchen durchzogen. Der Anzug sah zerknittert aus, wie vom Flohmarkt gekauft und noch nicht gebügelt, aber seine Frau hatte ihm versichert, das Ganze müsse so sein und sei jetzt der letzte Schrei. Seit ein paar Monaten versuchte sie, ihn zu einem unkonventionellen Typen umzustylen. Sie fand, dass er sich zu spießig anzog und schon wie ein pensionierter Staatssekretär wirkte, der genau weiß, dass seine maßlos überzogene Pension unverdient ist und deswegen rege Geschäftigkeit mimt, obwohl er schon lange nichts mehr zu tun hat.
Nun, dieser Anzug sollte das ändern, und er hatte sogar die Füße in den braunen, italienischen Lederschuhen von Galizio Torresi, in denen er scheinbar barfuß lief, in Wirklichkeit aber mit hautfarbenen knappen Sneakersocken, auf dem Schreibtisch abgelegt. Er blieb noch einen Moment so sitzen, um die volle Wirkung zu entfalten, dann erst stand er auf, um Ann Kathrin Klaasen und Ubbo Heide zu begrüßen. Unwillkürlich griff er sich dorthin, wo normalerweise seine Krawatte saß, um sie geradezurücken.
Ann Kathrin grinste. Solche Gesten verrieten ihn eben. Er fasste aber ins Leere, denn unter seinem neuen Knautschanzug strahlte kein weißes, frisch gebügeltes Oberhemd mit steifem Kragen, sondern ein pinkfarbenes T-Shirt, das farblich genau mit dem Faden korrespondierte, der seinen Anzug durchwob.
Er begrüßte Ubbo Heide mit Handschlag, aber so, wie er Ann Kathrin ansah, erwartete er, dass Ubbo sie nun wegschicken würde, was er aber nicht tat. Gentlemanlike zog er einen Stuhl herbei und stellte ihn Ann Kathrin hin. Sie setzte sich und fächelte sich Luft zu.
Dieses Büro war durch eine Klimaanlage bestens gekühlt. Von der Schwüle draußen war hier keine Spur, doch Scherer benutzte ein Rasierwasser, das Ann Kathrin die Luft zum Atmen nahm.
»Ich dachte«, sagte Scherer, »dies wird ein vertrauliches Gespräch.«
Ubbo nickte Ann Kathrin zu und sagte: »Ist es ja auch.«
Es passte dem Staatsanwalt nicht, aber er nickte widerwillig und schluckte die Kröte. »Okay«, sagte er. »Reden wir Tacheles. Eure Abteilung hat unglaublichen Mist gebaut. Wir stehen da wie die Deppen der Nation. Kriminaldirektor Schwindelhausen wird uns jetzt die Schuld in die Schuhe schieben. Im Prinzip leite ich hier die Ermittlungen …«
Ann Kathrin schluckte den Satz runter: Davon haben wir bis jetzt aber nicht viel gemerkt.
»Ich kriege Druck von oben«, gab Scherer zu. »Das Ganze wird sehr hoch gehängt. Die Presse wird uns in der Luft zerreißen. Das alles beginnt noch heute Abend.«
Er griff nach Papieren, die auf seinem Tisch lagen, und ließ sie herunterfallen. Für Ann Kathrin sahen sie aus wie Rechnungen vom Umbau seines Hauses in Jemgum. Sie konnte sich auch schlecht vorstellen, dass der Druck auf ihn per Briefpost gekommen war.
»Ich kann nicht länger den Kopf für alles hinhalten. Aber ich muss mit Erklärungen herauskommen. Man erwartet von mir,
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