Ostfriesenmoor: Der siebte Fall für Ann Kathrin Klaasen (German Edition)
als Zeugen zu befragen.«
»Hach«, lachte sie, »ich dachte schon, Sie hätten einen Hausdurchsuchungsbefehl. Es ist hier doch alles noch so unordentlich. Ich war drei Tage nicht da und dann – man kann ja heutzutage nicht mehr krank werden. Es läuft alles weiter und …«
Krank, dachte Rupert. Deine Krankheit kann ich mir gut vorstellen. Du sitzt hier, fit wie eine Eiskunstläuferin auf dem Siegertreppchen. Sie hatte garantiert eine heiße Nacht hinter sich, das stand für ihn außer Frage. Bei fröhlichen, ausgeglichenen Frauen vermutete er das jedes Mal. Bei brummigen, miesepetrigen das Gegenteil. Sein Frauenbild kam ihm selbst ein bisschen einfach vor, aber er hasste alles, was kompliziert war, deswegen konnte er an einem einfachen Frauenbild nichts Schlechtes finden.
»Und wenn Sie weg sind, kommt Ihr Chef dann alleine klar?«
Sie lachte. »Jeder Chef ist nur so viel wert wie seine Sekretärin. Ich sag immer, wenn er mich noch ein bisschen ärgert, schreib ich die Briefe mal so, wie er sie diktiert.«
Sie lachte über ihren eigenen Witz, und ihr Lachen steckte Rupert an.
»Wenn Sie ihm die typische Kommissarsfrage stellen wollen: Wo waren Sie am Soundsovielten um soundsoviel Uhr, dann ist es sowieso besser, Sie reden mit mir und nicht mit ihm.«
»Wo ist er denn?«
Sie sah auf die Uhr. »Um diese Zeit normalerweise im Café Cabarelo. Er trinkt da gerne Espresso und empfängt dort auch Geschäftspartner. Manchmal verlegt er sein Büro richtig nach draußen, geht einfach mit dem Diktiergerät spazieren oder erledigt seine Telefonate von Cafés aus.«
»Tja«, sagte Rupert, »so ein Star-Architekt kann sich das ja wohl leisten. Wie soll ich mir das eigentlich vorstellen? Ein Star-Architekt aus Delmenhorst? Gibt es denn hier so tolle Bauaufträge?«
Sie winkte ab. »Wir arbeiten international, beteiligen uns an großen Wettbewerben. New York, San Francisco, Rio. Sein eigentliches Büro ist in der Hauptstadt. Da zeichnen mehrere Architekten für ihn, es ist eine ganze Gruppe. Er liebt nur diese Stadt, und deswegen hält er das hier aufrecht. Außerdem ist seine Mutter«, sie flüsterte, »eine kranke, alte Dame. Er hat sie hier in einem Seniorenheim untergebracht und besucht sie alle zwei Tage. Er ist ein guter Sohn. So etwas würde sich manche Mama wünschen.«
»Ja«, sagte Rupert, »kann ich mir denken.« Dann fragte er: »Kann ich mal Ihre Toilette benutzen?«, und sie zeigte ihm die Tür zu einem Zimmer, das größer war als Ruperts Küche. Riesige, in die Wand eingelassene Spiegel und blank gewienerte Fliesen suggerierten eine teure Herkunft. Es gab einen Wäschekorb, der für Rupert aussah, als hätte Renken ihn einem Schlangenbeschwörer in Indien abgekauft.
Vorsichtig hob Rupert den Deckel an. Es schoss ihm aber keine Kobra entgegen, sondern er entdeckte schmutzige Wäsche. Mit spitzen Fingern hob Rupert alles hoch. Eine Jeans und eine Feinrippunterhose mit Eingriff der Marke Schiesser. Ein Paar Socken und ein durchgeschwitztes Hemd. Der feine Herr Renken hatte sich umgezogen, bevor er ins Café gegangen war.
Seine Jacke hing an einem Haken neben der Tür. Rupert tastete die Jacke ab. In der Brusttasche fand er einen Montblanc-Füller und einen kleinen Taschenkalender, für jeden Monat eine Seite.
Interessant, dachte Rupert. Hier drin sind garantiert seine privaten Termine. Die, die er nicht digital in seinen Kalender eintragen will, weil darauf die Sekretärin Zugriff hat.
So konnte der Terminkalender eines erfolgreichen Architekten unmöglich aussehen. Es gab nur wenige Einträge und dort stand jedes Mal: SM.
Rupert kratzte sich und flüsterte: »Hab ich dich, du geiles, kleines Schweinchen …«
Mindestens zweimal pro Monat besuchte Nils Renken SM. Rupert notierte sich die Zeiten und steckte den Kalender dann wieder zurück. Er wusste, dass er keinerlei Befugnisse hatte für das, was er hier tat. Aber ein Kribbeln in den Handflächen sagte ihm, dass er auf dem richtigen Weg war.
Am liebsten hätte er den Slip mitgenommen, doch er wusste, dass er damit das Beweismittel ruinieren würde. Kein Richter akzeptierte es, dass Polizisten Beweismittel stahlen.
Die Schwüle tat Ann Kathrin gar nicht gut. Sie schätzte so sehr das Wetter an der Küste. Immer ein paar Grad kühler als im Rest des Landes, immer eine frische Brise um die Nase. Hier kam sie mit dem Kreislauf besser klar und fühlte sich viel wohler als in Köln, wo manchmal die Luft stand und nur über den Rhein her ein
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