Ostfriesenmoor: Der siebte Fall für Ann Kathrin Klaasen (German Edition)
»psychologisch raffiniert vorgegangen.«
Sylvia Hoppe grinste. »Psychologisch raffiniert vorgegangen. Na, das entlastet dich jetzt aber, Rupert. Das kannst du doch gar nicht gewesen sein …«
Auch Rieke Gersema grinste. Ann Kathrin blickte von der einen zur anderen und schüttelte den Kopf.
»Du habest«, fuhr Ubbo Heide fort, »einen Zornesausbruch der Befragten Svenja Roth, mit dem sie sich gegen deine Beschuldigungen gewehrt hat, sogar dazu benutzt, ihr die Worte im Mund herumzudrehen. Du würdest das ja verstehen, das sei eine typische Reaktion von missbrauchten Kindern.«
Ubbo Heide schob den Zettel von sich wie ein faules Stück Fleisch, dessen Geruch er nicht länger in seiner Nähe haben wollte.
»Ich glaube, euch ist allen nicht klar, was das für uns bedeutet. Noch bevor ihr überhaupt angefangen habt, im Dreck herumzustochern, fliegt uns schon alles um die Ohren. So läuft das nicht, Rupert, so nicht, und das sag ich jetzt hier ganz klar an alle: Dr. Ollenhauer, Nils Renken und die anderen Unterstützer sind nicht irgendwer! Man kann mit denen nicht umgehen wie …«
Ann Kathrin räusperte sich. »Ubbo, du bestehst doch immer darauf, dass wir ohne Ansehen der Person …«
»Ihr könnt nicht einer Zeugin eine Straftat aus der Nase ziehen! Das nimmt uns jeder Anwalt in der Hauptverhandlung genüsslich auseinander! Wir werden dastehen wie Idioten, egal, was jetzt noch für Aussagen kommen. Was wollen wir denn jetzt damit machen? Wenn wir gegen solche Leute vorgehen, brauchen wir hieb- und stichfestes Beweismaterial!«
Um sich zu verteidigen, holte Rupert weit aus. »Helmut Schmidt darf in jeder Fernseh-Talkrunde rauchen. Dem stellen sie einen Aschenbecher hin, auch wenn es gegen alle feuerpolizeilichen, medienrechtlichen und sonstigen Gesetze verstößt! Da geht es nur ums Rauchen. Das interessiert mich nicht. Ich grinse darüber. Aber wir werden es doch jetzt nicht so weit kommen lassen, dass Promis sich an Kindern vergreifen dürfen!«
Die Ungeheuerlichkeit von Ruperts Worten brachte alle gegen ihn auf. Ann Kathrin versuchte, abzuwiegeln. »Nun, Rupert ist ja bekannt dafür, dass er gerne Beispiele wählt, die völlig schräg und inakzeptabel sind. Aber was er im Grunde sagen will, ist doch nur …«
Ubbo Heide ließ seine rechte Hand auf den Tisch klatschen, sodass der Zettel mit seinen Notizen vom Luftstoß hochflatterte und einen Moment über den Tisch segelte, bevor er mit wippenden Bewegungen in der Mitte landete.
»Wollt ihr jetzt alle Jugendlichen, die mal von der Stiftung betreut wurden, besuchen und denen die gleichen dämlichen Fragen stellen?«
»Nein«, sagte Ann Kathrin, »das wollen wir nicht. Wir wollen den Mörder fassen. Es geht um ein Kind, das ausgestopft und schließlich im Uplengener Moor versenkt wurde.«
Ihr Satz brachte alle wieder herunter. Plötzlich wurde klar, worum es eigentlich ging. Auch Ubbo Heides Gesichtszüge erinnerten wieder an den milden, freundlichen Chef, den sie alle kannten. An den, der nachts nicht schlafen konnte, wenn ein Verbrechen ungesühnt blieb und der Straftäter frei herumlief. An den, der sich mit breiten Schultern vor seine Mitarbeiter stellte, wenn es darum ging, sie zu schützen. An den, für den Boßeln ein viel aufregenderer Sport war als Fußball, Tennis und Boxen zusammen. An den, der diese Polizeitruppe führte wie ein Familienunternehmen.
»Das Verbrechen hat uns alle sehr erschüttert. Vielleicht ist Rupert hier ungeschickt vorgegangen, aber ich möchte doch zu bedenken geben …«
»Nicht ungeschickt«, warf Sylvia Hoppe ein, »psychologisch raffiniert!«
Rupert schickte einen wütenden Blick in ihre Richtung.
Ohne anzuklopfen, öffnete Jörg Benninga die Tür. Der sonst so konservative Kollege hatte, wie Ann Kathrin auf den ersten Blick feststellte, einen völlig bescheuerten Haarschnitt, der überhaupt nicht zu seinem runden Gesicht passte. Eine Stelle über der Schläfe war im Zickzack ausrasiert, sodass der Eindruck entstand, als sei ein Blitz durch seine Haare gesaust. Aber was er sagte, ließ das Erstaunen über seine Frisur in den Hintergrund treten.
»Leute, wir sind einen Schritt weiter. Die haben gerade aus Oldenburg angerufen. Hans Freytag aus Rhauderfehn, von dem Rupert Speichelspuren genommen hat, ist mit 99,9-prozentiger Sicherheit der Vater unserer Moorleiche.«
Rupert nickte Benninga dankbar zu, baute sich auf, als sei er damit über jede weitere Kritik erhaben und hätte alle Scharten
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