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Ostfriesenmoor: Der siebte Fall für Ann Kathrin Klaasen (German Edition)

Ostfriesenmoor: Der siebte Fall für Ann Kathrin Klaasen (German Edition)

Titel: Ostfriesenmoor: Der siebte Fall für Ann Kathrin Klaasen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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um Zentimeter arbeiteten sie sich wie in einer straff organisierten Schlachtordnung vor.
    Sie war so fasziniert von dem Schauspiel, dass sie fast gelähmt war und nichts dagegen tun konnte. Sie sah nur zu und fragte sich, was aus ihr werden würde. Gleichzeitig dachte sie, dass sie so im Grunde die letzten Jahre ihres Lebens verbracht hatte. Wie eine Zuschauerin, unfähig, es zu beeinflussen. Damit sollte Schluss sein. Schluss! Schluss! Schluss!
    Sie breitete die Arme aus und rannte brüllend geradeaus auf ein Möwenpärchen zu. Genau die beiden wichen ihr jetzt flatternd aus. Der Rest des Kreises formte sich eher zu einem Ei, aber nicht alle Möwen flohen, sondern nur zwei und schließlich eine dritte, nach der Lucy mit dem Fuß Sand schoss. Dann stürmte Lucy durch die Öffnung aus der Umzingelung der Möwen hinaus. Sofort flatterten sie alle hoch, die mutigsten knapp einen Meter über ihrem Kopf. Sie konnte die Flügelschläge spüren und beängstigende »Kiu! Kiu!«-Schreie hören.
    Da lief Benne auf Lucy zu. »Hey, Möwen füttern verboten!«, lachte er, und so schnell, wie der Möwenspuk begonnen hatte, war er vorbei.
    »Ich habe sie nicht gefüttert«, sagte Lucy. »Sie haben mich angegriffen.«
    »Na klar«, scherzte Benne. »Der Großangriff der Killermöwen! Ich hab ’ne Flasche Rotwein und ’nen Joint. Und ein paar Decken. Komm mit runter zum Strand. Wir können über die Steinbuhnen laufen.« Er zeigte auf den fast geraden schwarzen Strich, der ins Meer führte. »Da sind wir ganz allein, da kommt kein Mensch hin. Man kann weit raus. Komm nur.«
    Einerseits hatte Lucy Angst, auf den glitschigen Steinen auszurutschen und ins Wasser zu fallen. Das wäre dann der krönende Abschluss dieses Tages. Andererseits wollte sie vor ihm nicht als Memme dastehen und tat so, als würde sie ständig über Buhnen ins Meer wandern.
    Hier hörte man jetzt immer noch beide Musiken. Es klang geradezu harmonisch, so, als würde es hierhin gehören, wie der Wind und das Geräusch der Wellen.
    »Und wenn das Wasser steigt?«, fragte sie.
    Er hielt ihr die Hand hin und leitete sie gentlemanlike immer weiter in die Dunkelheit. »Keine Sorge«, lachte er, »wir haben abnehmendes Wasser.«
    Zwischen dem Musikmischmasch hörte sie wieder Möwenschreie.
    Wenn die uns hier angreifen, dachte sie, sind wir erledigt.
    Aber sie versuchte, den Gedanken zu verdrängen und sich stattdessen darauf zu konzentrieren, dass endlich ihr Urlaub beginnen würde.
    Nein, sie wollte sich nicht einmal bei Benne über ihre Familie ausheulen. Sie wollte jetzt ein bisschen was erleben.
    Wenn Anke mich jetzt so sehen könnte, die würde verdammt neidisch werden, dachte Lucy.

    Sie bog vom Dörper Weg bei der Kombüse in die Pelikanstraße ein. In den meisten Ferienwohnungen waren jetzt schon die Lichter erloschen. Hinter einigen wenigen Fenstern flackerten noch Fernsehgeräte.
    Bis hierher war ihr niemand begegnet, der sie wiedererkennen könnte. Sie schützte ihr Gesicht mit einem Tuch, als sei sie windempfindlich. Die große Sonnenbrille behinderte sie jetzt bei Nacht. Sie hatte sie so tief auf der Nase, dass sie darüber gucken konnte, doch sobald ihr jemand entgegenkam, rückte sie sich die Brille voll ins Gesicht.
    Als sie in den Muschelweg einbog, schob sich eine Wolke komplizenhaft vor den Mond. Ein händchenhaltendes Pärchen kam ihr entgegen. Sie waren Ende fünfzig, Anfang sechzig, frisch verliebt und gibbelten wie Teenager.
    Das muss die Meerluft machen, nirgendwo gab es so viele verliebte Paare in dem Alter wie hier.
    Das Schicksal schien es gut mit ihr zu meinen. Nicht nur, dass sich eine Wolke vor den Mond geschoben hatte, sondern in der Ferienwohnung stand sogar ein Fenster offen.
    Sie mied das Licht der Straßenlaternen, grüßte das Pärchen freundlich mit »Moin« und »Schönen Urlaub noch«, und dann wunderte sie sich über ihr eigenes Glück. Tatsächlich war dies sogar das Zimmer, in dem Ina lag. Es war ganz einfach. Nur ein Schritt, und sie hätte das Kind in ihrer Gewalt.
    Wie konnten Eltern nur so nachlässig sein?
    Ihr werdet euch noch wundern, wenn man zwei so schöne Kinder hat, darf man das nicht als selbstverständlich ansehen. Man muss sein Glück erkennen und dem Universum täglich danken, sonst werden einem die Kinder wieder genommen. Ja, es war ein Jammer, wie schnell man sein Glück doch verspielen konnte.
    Unbeobachtet stieg sie ins Zimmer ein. Sie beugte sich über das Bettchen. Wie ähnlich Ina doch Tina war. Die

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