Ostfriesenmoor: Der siebte Fall für Ann Kathrin Klaasen (German Edition)
gerade Platz geschaffen.«
»Ja?«, fragte Rupert. »Wo denn? Soll das Zeug in mein Büro oder …?«
Ann Kathrin schnitt ihm das Wort mit einer scharfen Geste ab.
Weller kam aus dem Keller hoch. Er war blass.
»K… k… kommt mal mit runter …«, bat er und verschwand dann einfach wieder nach unten.
Ann Kathrin lief hinter ihm her. Dann folgte ihnen Tjark Oetjen.
Sie durchschritten eine schwere Stahltür, die mit einem Nummernschloss hätte gesichert werden können, aber nur angelehnt worden war.
Die unteren Räume erinnerten Weller auf fatale Weise an die Pathologie in Oldenburg und an das Gespräch mit Frau Professor Dr. Hildegard. Es roch auch so ähnlich, und Weller fragte sich, wieso dieser Duft nicht nach oben gedrungen war.
Die Räume hier hatten etwas von einer Leichenhalle und gleichzeitig von einem Operationssaal. Es gab einen vorbildlich sauberen, geradezu blitzblanken silbernen Seziertisch mit einer Ablaufrinne und einem Loch in der Mitte. Ein großes Mikroskop und eine Nähmaschine für Leder. Skalpelle, Nadeln, um Wunden zu nähen, und der berühmte Ethilon-Faden der Firma Ethicon lag in verschiedenen Stärken auch bereit.
In Gläsern, eingelegt in Formalin, jede Menge Organe. Weller konnte nicht eindeutig zuordnen, ob sie Tieren oder Menschen gehört hatten. Auf Augenhöhe mit ihm eine Leber. Wenn er mit dem Gesicht näher kam, wirkte sie merkwürdig lebendig, als würde sie zucken.
Er wusste natürlich, dass das nicht wahr sein konnte und schob es abwechselnd auf sein dünnes Nervenkostüm oder auf die Reflektionen des Glases.
»Na, das nenne ich doch einen gemütlichen Hobbyraum«, sagte Ann Kathrin.
Im zweiten Raum gab es ein sechs Meter langes Aquarium. In dem Becken schwammen glitzernde Piranhas.
In einem Terrarium auf der anderen Seite des Raumes lagen zwei Schlangen träge zwischen der Dekoration aus übereinandergeschichteten Schiefersteinen und Ästen.
Weller verstand nicht viel von Schlangen, aber er war sich absolut sicher, dass dies zwei giftige Exemplare waren. Die eine schillerte hellgrün, und es kam ihm so vor, als würde sie ihn mit ihren gelben Augen fixieren. Plötzlich glaubte er zu wissen, woher das Wort »giftgrün« kam.
»Sacken wir den Klapsmann jetzt ein?«, fragte Weller voller Tatendrang.
Ann Kathrin sah ihn an und rieb sich die Oberarme. Sie fröstelte.
Lucy wankte durch den Muschelweg wie ein Zombie, der Menschenfleisch gerochen hat. Sie bot einen mitleiderregenden Anblick, kam sich selber aber fröhlich und beschwingt vor. Irgendwie durchtrieben. Erwachsener geworden und auf eine bisher unbekannte Art wild. Vermutlich lag es an der Wirkung der Cannabinoide, die ihr zentrales Nervensystem beeinflussten. Sie hatte noch nie so viel THC inhaliert, ein bisschen lag es aber auch daran, dass sie so verknallt war. Tapsig wankte sie über den Asphalt, während sie innerlich auf Wolken schwebte.
Sie wusste nicht, wie spät es war. Auf ihrer Liebeswolke tickte keine Uhr. Die Touristen mit den Brötchentüten von Grünhoff nahm sie nicht wahr. Ihre Haut brannte noch von seinen Berührungen.
Sie konnte nicht durchs Fenster wieder rein, weil es geschlossen war, doch der Gedanke, dass man ihr Fehlen bemerkt hatte, war noch nicht in ihr aufgetaucht.
Sie fragte sich, ob man ihr ansehen konnte, dass sie geliebt worden war. Sie streichelte sich langsam mit dem Handrücken übers Gesicht. Sie roch noch nach ihm.
Sie fragte sich, warum sie überhaupt zurück zu ihrer Mutter und zu Thomas ging. Benne hatte sie eingeladen, die nächsten Tage mit ihm zu verbringen, bis zum Schluss der Ferien. Eine Ewigkeit! Egal, was danach kam. Es gab kein Danach. Nur noch ein Jetzt.
Thomas Schacht stand hinter der Gardine und beobachtete die Straße. Mit links schaukelte er das Bettchen, in dem Ina lag. Er hatte sich einen starken Kaffee gekocht, der Gundula zu bitter war. Sie hatte sich einen Rooibos-Tee Vanille gemacht. Er fand den Geruch widerlich und hätte das Zeug am liebsten in die Spüle gegossen.
Noch vor wenigen Stunden war er verrückt nach Gundula gewesen, und jetzt konnte er es nicht ertragen, ihre Kaugeräusche zu hören, wenn sie ins Knäckebrot biss. Hatte sie früher ihren grässlichen Tee auch so laut geschlürft? Ihre Schluckgeräusche ließen seinen Magen zusammenkrampfen. Ihm verging der Appetit, wenn er ihr zusah. Selbst hier am Fenster hörte er ihr Frühstück noch immer wie ein Gewitter, das ihn verfolgte. Er bebte vor Wut, dann sah er Lucy
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