Ostfriesenmoor: Der siebte Fall für Ann Kathrin Klaasen (German Edition)
verlassen, Lucy. Für dich ist der Urlaub beendet. Als Erstes wirst du hundert Mal schreiben: Ich darf nachts nicht aus dem Fenster klettern . Und dann hundert Mal: Ohne Erlaubnis darf ich das Haus nicht verlassen .«
»Du hast mir gar nichts zu befehlen! Du bist nicht mein Vater!«
Gundula flehte: »Lucy, bitte! Wir müssen jetzt als Familie zusammenhalten. Wir haben immer noch keine Nachricht, was mit Tina ist.« Sie brachte es in Erinnerung, als sei es in Vergessenheit geraten.
»Und bis sie wieder da ist«, schrie Thomas, der immer noch davon überzeugt war, dass Lucy genau wusste, wo sich ihre Schwester befand, »setzt du keinen Fuß mehr vor die Tür!«
Lucy richtete sich neben dem Schuhschrank auf. Ein kleiner, rotweiß gestrichener Porzellanleuchtturm, der auf einem bestickten runden Deckchen stand, fiel um und rollte über die Holzkante. Er zerschellte auf dem Boden.
Es kam Gundula vor wie ein Symbol für ihre Beziehungen, ja, für ihr ganzes Leben. Aufrecht stehend, der Brandung trotzend, hatte sie versucht, den anderen, haltloseren Menschen eine Orientierung zu geben. Aber sie war gescheitert.
»Ach ja?«, keifte Lucy. »Wird das jetzt so eine Art Gefangenenaustausch, ja? Du behältst mich so lange, bis Papa Tina herausgibt, oder was?« Sie tippte sich an die Stirn. »Du bist doch plemplem, bist du doch!«
Er lachte demonstrativ laut auf. »Na bitte! Hast du es gehört, Gundi? Sie hat es zugegeben. Tina ist bei deinem Wolfgang!«
»Er ist nicht mein Wolfgang!«, blaffte Gundula zurück, und Lucy verteidigte sich: »Ich habe überhaupt nichts zugegeben! Ich weiß nur genau, wie du tickst! Du hast doch bloß Angst, dass die Zwillinge nicht von dir sind!«
Damit war es raus. Eine Art Schockstarre trat ein. Die Situation schien zu gefrieren. Nichts und niemand bewegte sich mehr. Für ein paar Sekunden stand für alle Beteiligten die Zeit still.
Dann drehte Thomas sich um und verließ das Haus.
Gundula und Lucy erwarteten, dass er die Tür ins Schloss knallen würde, aber die Mühe machte er sich nicht. Er ließ sie halb geöffnet, so als brauche er jede Kraft für die Schritte, die nun vor ihm lagen, und könnte sich mit solchen Kleinigkeiten nicht länger belasten.
»Thomas! Bleib hier! Bitte geh jetzt nicht!«, rief Gundula hinter ihm her, aber er drehte sich nicht um.
»Warum tust du das, Lucy?«, fragte Gundula verständnislos.
Lucy antwortete nicht. Ihr wurde jetzt bewusst, dass ihre Kleidung klamm und feucht war. Sie stank. Sie wünschte sich ein Schaumbad, frische Kleidung, und dann wollte sie hier weg. So schnell wie möglich. Zurück zu Benne.
Gundula konnte immer noch nicht fassen, was gerade passiert war.
»Hat Papa es dir erzählt?«, fragte sie.
Lucy grinste ihre Mutter breit an. Jetzt hatte sie wieder Oberwasser.
»Es stimmt also. Ich wusste es doch. Du konntest Papa doch noch nie etwas abschlagen, wenn er nur lange genug herumgequengelt hat.«
Lucy ging an ihrer Mutter vorbei ins Bad, aber Gundula war hinter ihr und stemmte sich gegen die Tür, sodass ihre Tochter nicht in der Lage war, sich einzuschließen.
»Weißt du, wo Tina ist?«, fragte Gundula.
»Ich will in die Wanne.«
Erst jetzt nahm Lucy zur Kenntnis, dass es im Badezimmer überhaupt keine Wanne gab, sondern nur eine Dusche.
Gundula zwängte sich zu ihrer Tochter ins Badezimmer.
»Lass mich jetzt in Ruhe, Mama!«
»Warum machst du mir alles kaputt? Warum willst du mein Leben zerstören, Lucy?«
»Wer zerstört denn hier wessen Leben?«, keifte Lucy zurück.
Dann brachte sie den Duschvorhang zwischen sich und ihre Mutter. Fast hätte sie die Dusche eingeschaltet, obwohl sie noch vollständig angezogen war. Sie hatte die Hände schon an der Armatur. Dann hielt sie inne und zog sich aus. Sie warf ihre Sachen einfach über den Vorhang und hörte, wie sie auf den Boden klatschten.
Gundula bückte sich, hob alles auf und trug die feuchte Kleidung ihrer Tochter zur Waschmaschine. Sie hoffte, dass wenigstens die noch funktionierte.
Es tat ihr gut, das nach Zitrone duftende Biowaschmittel ins Einfüllfach zu geben. Alles in ihr schrie nach Ordnung und Sauberkeit. Sie konnte sich gerade kaum etwas Schöneres vorstellen, als Wäsche zu waschen und zu bügeln.
Ann Kathrin hatte sich mit Holger Bloem im Restaurant Smutje in Norden verabredet. Ihre Freundin Melanie Weiß hatte für die beiden ein verstecktes Plätzchen im Kaminzimmer reserviert.
Es war gemütlich-kuschlig, fast wie eine Essecke in der eigenen
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