Ostfriesenmoor: Der siebte Fall für Ann Kathrin Klaasen (German Edition)
Sie sah Weller dankbar an.
Ann Kathrin war sich nicht ganz klar, ob Gundula Müller die Aussage, die Schacht getroffen hatte, insgesamt meinte oder ob ihr nur die Wortwahl wie »Löffel abgeben« nicht passte.
Lucy hielt Tücher einer Haushaltsrolle in der Hand und versteckte darin ihre blutigen, abgekauten Fingerkuppen. Sie sah krank aus und hatte etwas von einer in die Enge getriebenen Ratte an sich, kurz bevor sie beginnt, um sich zu beißen.
»Papa ist kein Entführer und kein Erpresser!«
»Ach nein?« Thomas Schacht mantelte sich groß auf.
Weller brachte sich in Position, um Lucy und Thomas notfalls auseinander zu halten, falls sie aufeinander losgingen, womit er jeden Moment rechnete. Aber Ann Kathrins Blick sagte ihm, dass sie den gruppendynamischen Prozess weiterlaufen lassen wollte. Sie erhoffte sich dadurch weitere Erkenntnisse.
»Du solltest dich lieber nicht länger von ihm zur Komplizin machen lassen, Lucy. Der lässt dich rücksichtslos über die Klinge springen.« Er tippte sich gegen die Stirn. »Wie verkommen muss denn ein Vater sein, wenn er seine Tochter in sowas reinzieht?«
Thomas Schacht machte eine Bewegung auf Lucy zu. Weller ebenfalls.
Sie registrierte durchaus, dass Weller bereit war, sie zu schützen, sie honorierte das aber keineswegs, sondern nahm es als Angriff auf ihre Autonomie, als sei sie nicht in der Lage, das selbst zu tun.
»Er ist ein besserer Vater, als du es je sein wirst!«, schrie sie. »Du hast doch überhaupt keine Ahnung! Du willst ihn doch nur schlecht machen!«
Dann drehte sie Schacht den Rücken zu und sprach in Ann Kathrins Richtung. »Jetzt werde ich Ihnen mal was erzählen, Frau Kommissarin. Haben Sie mal darüber nachgedacht, dass alles vielleicht genau umgekehrt ist? Vielleicht hat Thomas ja die Kleine aus dem Wagen genommen. Für ihn war das völlig ungefährlich. Wenn er erwischt worden wäre, hätte niemand gesagt: Hey, halt mal, was tust du denn da? Er hat sie schnell weggebracht, und jetzt versucht er, über diesen Weg, an das Geld von Tante Mia zu kommen. Ist ja immerhin seine Idee, was er Papa hier gerade unterschiebt. Wie sagt meine Mutter immer so schön? – Wer andere hinter der Mauer sucht, saß oft selber da.«
Sie wandte sich aggressiv an ihre Mutter: »Das ist doch der Spruch, stimmt’s Mama? Vielleicht sitzt dein geliebter Thomas ja in diesem Fall hinter der Mauer! Er kann es doch überhaupt nicht abwarten, dass du ihn endlich heiratest! Kannst du dir gar nicht vorstellen, warum? Der will an die Kohle von Tante Mia, das ist alles!«
Gundula presste ihr Baby so fest an sich, dass Ann Kathrin sich Sorgen um das Kind machte und überlegte, ob es nicht besser wäre, es der Mutter abzunehmen. Sie fürchtete allerdings, sich dabei auf einen Kampf mit der Frau einlassen zu müssen.
Ihre Arme krampften sich um das Baby, und jetzt hielt sie ihm die Ohren zu. Ina begann zu weinen, woraus Gundula keineswegs folgerte, ihre Umarmung zu lockern, sondern sie presste Ina noch fester an sich. Die kleine Nase quetschte sich an ihrer Brust.
»Ja, das tut weh, Mama! Du fändest es natürlich toller, wenn er dich wollen würde, weil du so eine Wahnsinnsfrau bist. Aber ich fürchte, so ist es nicht. Du musst der Wahrheit ins Gesicht sehen. Jetzt hat er Angst, dass du zu Papa zurückgehst, und da will er wenigstens nicht ohne Kohle dastehen, darum hat er …«
»Halt die Fresse, du blödes Luder!«, stieß Thomas Schacht hervor und stürzte sich auf Lucy. Er hatte die rechte Hand gehoben und legte viel Kraft hinein, als er sie heruntersausen ließ, doch Weller stoppte seine Hand in der Luft.
Thomas Schacht staunte über den eisernen Griff von Weller. Das hatte er diesem ruhigen Mann gar nicht zugetraut.
»Setzen Sie sich«, sagte Weller mit einem Blick, der keinen Widerspruch duldete. Trotzdem blieb Thomas Schacht stehen und rührte sich nicht vom Fleck.
Weller legte noch mehr Druck in seine Finger, dann packte er auch mit der anderen Hand zu und zwang Schacht in die Knie.
Der stöhnte, und Weller bugsierte ihn zu dem Fünfziger-Jahre-Sessel beim Radio. Er ließ Thomas Schacht los. Der verlor das Gleichgewicht und fiel in den Sessel.
Er wollte gleich wieder hochfedern, doch Weller richtete seinen Zeigefinger wie einen Pistolenlauf auf ihn und befahl: »Sitzen bleiben! Zwingen Sie mich nicht, Ihnen Handschellen anzulegen.«
»Na, das wird ja immer besser. Der entführt mein Kind, und mir legen Sie Handschellen an …«
»Sie geben mir Ina jetzt
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