Ostfriesenmoor: Der siebte Fall für Ann Kathrin Klaasen (German Edition)
als hätte er vor, sie abzubrechen und damit auf jemanden loszugehen.
Weller stand so, dass er ihn jederzeit unter Kontrolle hatte. Auf keinen Fall wollte er ihn aufstehen lassen. Sitzende Männer waren erst einmal ungefährlich.
»Habt ihr die Kripo verständigt?«
Lucy sah Ann Kathrin mit weit aufgerissenen Augen erschrocken an. Ann Kathrin schüttelte den Kopf.
»Nein, natürlich nicht«, sagte Lucy.
»Okay. Was ist mit der Kohle?«
»Meine Mutter weiß nicht, wie sie das Geld zusammenkratzen soll. Wir haben nicht mal unser Auto abbezahlt, das gehört im Grunde noch der Sparkasse …«
»Na, euch fällt bestimmt was ein. Ich gebe euch noch vierundzwanzig Stunden Zeit, dann kriege ich das Geld, oder die Kleine stirbt.«
Gundula stand inzwischen vor ihrer Tochter. Sie streckte die Hand nach dem Handy aus.
»Soll ich Ihnen mal meine Mutter geben? Sie können dann alles mit ihr besprechen«, fragte Lucy.
»Nein. Ich rede mit niemand anderem. Ich verhandle nur mit dir. Du überbringst die Nachrichten, und mir überbringst du das Geld, klaro?«
Gundula hob die Hände, schüttelte sie und drehte sich um. Sie sah aus, als würde sie die Worte des Entführers so ernst nehmen, dass sie nicht mal riskieren wollte, das Telefon anzufassen, um ihn nicht zu verärgern.
Ganz anders reagierte Thomas. Er versuchte jetzt, aus dem Sessel hoch und an Weller vorbei zu Lucy zu kommen. Weller stoppte ihn hart.
»Lass mich mit dem Schwein reden!«
»Die drehen hier alle durch! Ich will das nicht machen! Ich kann so was nicht!«
»Du tust, was ich sage, oder du siehst deine Schwester nie wieder.«
»Ich bin dreizehn!«
»Ja, aber du bist der einzige vernünftige Mensch in der Familie, und ich rede nur mit dir. Verpack das Geld in eine Sporttasche, und dann halte dich bereit. Ich werde dich anrufen und dir genau sagen, was du zu tun hast. Wenn dir irgendjemand folgt, ist deine Schwester tot, klar?«
Obwohl Weller ihn fest im Griff hielt, brüllte Schacht aus Leibeskräften: »Ich krieg dich, du Drecksack! Ich mach dich so fertig! Wenn du meiner Kleinen irgendwas tust, werd ich dich vierteilen! Ich werd dein schlimmster Alptraum! Ich werd mich an dir auf biblische Weise rächen! Das Alte Testament ist ein Partygag gegen das, was ich mit dir mache! Ich hab deine Stimme erkannt, ich weiß, wer du bist, und ich krieg dich, Wolfgang!«
Weller drehte ihm fast die Luft ab, um ihn zum Schweigen zu bringen. Er war sich nicht sicher, ob das, was er jetzt tat, noch durch die Polizeivorschriften gedeckt war.
Dann erwischte Thomas Schacht mit seinem Ellbogen Wellers kurze Rippe. Es knackte und fühlte sich für Weller an, als würde sich etwas in ihm verschieben und dann wieder zurückspringen. Ihm wurde augenblicklich schwarz vor Augen.
In dem Moment betrat Charlie Thiekötter den Raum. Er sah fünfzehn Jahre älter aus als er war und hatte etwas von einem Rentner an sich, der seinen entlaufenen Dackel sucht. Auch, wenn er überhaupt nicht so aussah, erfasste er die Situation doch mit einem Blick, und ohne, dass Ann Kathrin irgendetwas dazu tun musste, lag Schacht auch schon auf dem Bauch, und um seine Hände hinter seinem Rücken schlossen sich Handschellen.
Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen benutzte Charlie Thiekötter die guten alten silbernen Handschließen aus Stahl mit Zahnrasten und Schlüsselloch. Sie wogen schwer in der Tasche, und viele Kollegen verwendeten stattdessen lieber wiederverwendbare Plastikhandfesseln. Aber er fand, diese Kunststoffdinger wirkten doch irgendwie wie die Clips, mit denen seine Frau die Gefrierbeutel verschloss.
Die alten klackten und waren einfach viel beeindruckender. Damit verschaffte man sich Respekt, nicht mit so einer weißen Plastikschlaufe. Und in der Tat verfehlten sie auch heute ihre Wirkung nicht. Die ganze Situation beruhigte sich durch sein Auftreten.
Ann Kathrin nahm das mit Genugtuung zur Kenntnis und konzentrierte sich ganz darauf, das Kind zu schützen, dem der Tumult erstaunlich wenig auszumachen schien. Trotzdem hatte Ann Kathrin das Gefühl, das Kind aus der Familie wegnehmen zu müssen, um es zu nähren und in eine ruhigere Situation zu bringen.
Weller hatte Schwierigkeiten, Luft zu bekommen. Er saß mit dem Rücken zur Wand, die Knie angezogen, die Arme auf die Knie gelegt, und japste. Dabei ließ er Schacht nicht aus den Augen, so, als würde immer noch eine große Gefahr von ihm ausgehen.
Der Entführer hatte inzwischen aufgelegt, und Charlie Thiekötter brauchte
Weitere Kostenlose Bücher